Christine Egger-Fornerod hat einiges zum kulturellen Leben von Altstätten beigetragen. Sie ist als Clownin aufgetreten, hat Geschichten geschrieben und vorgetragen, spielte zusammen mit ihrem Mann, Marcel Egger, und weiteren Gleichgesinnten Ländlermusik. Vor allem kennt man die mittlerweile 78-Jährige aber als Künstlerin, deren Skulpturen und Bilder an zahlreichen Ausstellungen vor allem in den 1990er- und 2000er-Jahren zu sehen waren. Aber selbst jemanden wie sie, die während über 20 Jahren immer wieder in der Öffentlichkeit stand, kennt man eigentlich nur recht oberflächlich. Dessen wird man sich bewusst, wenn man sich in ihre Biografie vertieft. Christine Egger hat sie auf der Biografien-Plattform meet-my-life.net geschrieben – wo jedermann sie lesen kann.Wie ein verstohlener Blick in ein fremdes TagebuchChristine Egger erzählt darin nicht nur von ihrem künstlerischen Schaffen, sondern auch von ihren Eltern und Grosseltern, von ihrer Kindheit in Olten und von ihrem späteren Zusammenleben mit ihren Kindern und ihrem Mann im Rheintal. Sie gibt den Lesenden dabei viel von sich selbst preis. Man liest, wie sie denkt und vor allem, wie sie sich selbst wahrnimmt. Fast bekommt man beim Lesen ein schlechtes Gewissen – es fühlt sich an, als hätte man einen verstohlenen Blick in ein fremdes Tagebuch riskiert.«Ich habe das alles nur für mich selbst geschrieben», stellt Christine Egger klar. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass ihre Lebensgeschichte – eigentlich ist es mehr eine Reflexion über ihr eigenes Leben – auf dieser Onlineplattform nun öffentlich zu lesen ist.Zu jener Leidenschaft gefunden, die sie ihr Leben lang vermissteSeit Jahrzehnten führt Christine Egger auch Tagebuch. Unzählige Hefte hat sie vollgeschrieben. Für ihre Biografie hat sie diese aber nicht herangezogen. Tatsächlich hat sie sogar viele davon entsorgt, als sie und ihr Mann vor ein paar Jahren aus dem Altstadthaus, in dem sie früher wohnten, auszogen und in eine viel kleinere Neubauwohnung am Lyrikweg zügelten. Christine Egger sieht es pragmatisch: «Das musste schlicht sein – wir haben hier viel weniger Platz als früher.»Wenn sie aber doch einmal in verbliebenen älteren Tagebüchern blättere, so falle ihr auf, dass sich über Jahre vieles ums selbe drehe, nämlich um eine dauernde unterschwellige Unzufriedenheit mit dem, was sie tat. «Da war ständig das Gefühl, dass mir die Leidenschaft fehlt – für die Kunst genauso wie für die Musik», ist sich Christine Egger bewusst geworden.
Im Schreiben hingegen erkennt sie heute genau jene Leidenschaft, die sie ihr ganzes bisheriges Leben lang vermisst hatte. Morgens, noch im Bett, beginnt sie, schreibt auf, was ihr durch den Kopf geht, lässt daraus Tagebucheinträge und Geschichten entstehen. «Das hat mir geholfen, zu mir selbst zu finden.»Eine gehörige Portion Selbstbewusstsein gewonnenGenauso sei es ihr beim autobiografischen Schreiben auf meet-my-life.net gegangen: «Es hat mir geholfen, mein Leben und mich selbst zu verstehen.» Und sie habe erkannt, wie unzufrieden mit sich selbst sie zuvor gewesen sei, dass sie ein Bild von sich selbst gehabt hatte, das nicht der Wirklichkeit entsprach. «Das Schreiben war mir wie eine Therapie – ich habe daraus eine gehörige Portion Selbstbewusstsein gewonnen», stellt Christine Egger fest.Ganz unvorbereitet ging sie nicht ans Schreiben ihrer Biografie heran. Sie hatte schon einige Zeit zuvor einen Biografiekurs der Pro Senectute besucht. Sich mit anderen auszutauschen, sei hilfreich gewesen, habe Türen zu scheinbar vergessenen Erinnerungen aufgestossen, sagt sie.meet-my-life.net funktioniert ähnlich: Die Plattform gibt mit Fragen eine Struktur vor, an die man sich beim Schreiben halten kann, aber nicht muss. Tatsächlich droht der Biografie so die Gefahr, den Charme eines ausgefüllten amtlichen Fragebogens zu bekommen. Es steht den Autorinnen und Autoren aber jederzeit frei, ihren Text zu überarbeiten.
Christine Egger wird es möglicherweise tun: «Mit dem, was ich dank dem Schreiben an meiner Biografie über mich selbst gelernt habe, könnte ich glatt nochmals von vorne beginnen, und sie käme ganz anders heraus.» Nicht unbedingt inhaltlich, aber in der Art und Weise, wie der Text daherkommt, wie er beim Lesen auf einen wirkt: «Ich habe mich versöhnt mit allem, was mir an mir selbst nicht gefallen hat», sagt Christine Egger, «mein Leben ist für mich stimmig geworden.»Autobiografin Christine Egger: «Das Schreiben hat mir geholfen, mich selbst zu verstehen.» (Bild: Max Tinner) Das Gedächtnis einer ganzen Generation bewahrenmeet-my-life.net hat zum Ziel, das Leben und die Lebensumstände der Generation nach dem Zweiten Weltkrieg und der darauffolgenden Generationen autobiografisch auf breiter Basis festzuhalten. Der Inhalt ist deshalb wichtiger als literarische Ansprüche und geschliffener Schreibstil.
Die Lebensgeschichten und Geschichten aus dem Leben sollen der wissenschaftlichen Forschung verschiedenster Disziplinen wie Kulturwissenschaft, Literaturwissenschaft, Psychologie und Geschichtsforschung zur Verfügung stehen. meet-my-life.net will damit einen wesentlichen Beitrag zur Dokumentation von Alltagskultur und Alltagsgeschichte quer durch alle Bevölkerungssegmente leisten. Zusammen mit Swisscom und mit dem Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) – Populäre Kulturen der Universität Zürich stellt die Plattform sicher, dass die Texte nicht verloren gehen und langfristig lesbar bleiben.
Grundsätzlich sind die Texte öffentlich und sollen jederzeit im Internet lesbar sein. Die Autorinnen und Autoren haben aber die Möglichkeit, ihre Biografie privat zu schalten. Diese Texte werden erst nach dem Ableben des Autors für jedermann zugänglich. Der Wissenschaft stehen sie in anonymisierter Form allerdings bereits vorher zur Verfügung.
Im Sinne eines Beitrags an die Betriebskosten erhebt meet-my-life.net von den Autorinnen und Autoren eine Gebühr. Das Lesen der Biografien hingegen ist kostenlos und ohne Registrierung möglich. (pd/red) Leseprobe: «Ich habe an mir selbst gelitten»«Ich mietete mir ein Atelier an meinem Wohnort. Der Sohn und die Tochter waren inzwischen flügge, und ich konnte mich ganz auf die Kunst konzentrieren. Es fiel aber nicht leicht, ich fühlte mich nicht als Künstlerin. Ich fand, ich litt zu wenig! Ich nahm mich selbst nie ernst, auch nicht das, was ich zustande brachte. Immer hatte ich meine Zweifel …»«Ich merke, dass es mit meinen Emotionen zu tun hat und nicht mit der Realität! Ich habe mit meinem Kunstschaffen aufgehört, weil ich mehr Zeit für das Musizieren mit meinem Mann haben wollte, aber auch da übe ich nur so viel, dass ich mithalten kann. Für mein Schreiben wollte ich mir mehr Zeit nehmen und es endlich als das Wichtigste in meinem Leben ansehen, mit Herzblut Geschichten schreiben. Ich nahm mir wirklich mehr Zeit. Morgens, wenn ich aufwache, stelle ich gleich mein Bettrückenteil hoch, hole mir einen Kafi und dann geht’s los mit Schreiben, wenns läuft, bis um 10 Uhr! Das hätte ich mir früher nur in den
Ferien geleistet, so was tut frau doch nicht! Das war ein Fortschritt! …»«Die Leidenschaft hat mir als Künstlerin immer schon gefehlt. Heisst das, dass man den Mut zum Leiden nicht hat, Angst vor dem Leiden? Eine Künstlerin sollte doch leiden, sonst bringt sie nichts fertig, das mehr als Dekoration ist. Ich habe höchstens an mir selbst gelitten, an meiner mangelnden Grösse …»Christine Egger-Fornerod: «Werde was du bist, ein Leben lang!»
Auf www.meet-my-life.net