29.09.2018

Mein Freund, der Baum, ist tot

«Jetzt wird der Bach ausgebaut 25. September», Ausgabe vom 18. September

Von Urs Stieger, Rüden 1
aktualisiert am 03.11.2022
Als ich als Schüler im Feldquartier in Altstätten lebte, war der Kiesfang und der Bach oberhalb der beliebteste Abenteuerspielplatz. Fische und Schlangen wurden gefangen, Böötli gebaut und Funkensonntag gefeiert. Auf der ganzen Länge bis zur Badi blühte im Frühling der Schlehdorn. Neben dem Weg zur Badanstalt standen schon damals diese schönen Eichen und andere Bäume, die man als Kind erst recht als riesig empfand. Die Badi war damals als Badanstalt dank Machtwort des katholischen Pfarrers getrennt geführt; Frauen und Männer hatten dort verschiedene Badezeiten. Die Suche nach einem Schlitz in den Holzwänden während der Frauenbadezeiten war zwecklos, die Arbeit der Schreiner war ohne Mängel. Nun sind grosse Teile dieses Kinderparadieses abgeholzt. Wieder zeigt sich im Kleinen, was im grösseren Umfang momentan in Deutschland und in unvorstellbarer Dimension in den Tropen abläuft: Im Verhältnis zur Zeit, die sie brauchen, um gross zu werden, haben Bäume fast keinen Wert. Vermeintlich. Da Leute, die entscheiden, auch Gutachter, vielfach nur einen ökonomischen Blick auf das Problem haben, sei doch einmal wieder erwähnt, welch volkswirtschaftlichen Nutzen Bäume haben. Der liegt bei etwa 100-jährigen Bäumen, Buchen oder Eichen bei etwa 150 000 bis 400 000 Franken. Pro Baum! In ihrem Leben hat eine solche gefällte Eiche mindestens 7000 Tonnen Schmutzpartikel absorbiert und etwa 400 Tonnen Sauerstoff produziert. Nebst allen anderen Funktionen und Nutzen. Die Bäume wären sicherlich noch gestanden, wenn die Garderoben, für die sie gefällt wurden, in einem solch maroden Zustand sind, wie das Hallenbad heute ist. Hochwasserschutz aber ist ein «Totschlagargument» wie Arbeitsplatzsicherung. Es erlaubt, Phantasie und Denken einzuschränken. Als «Goof» fand ich das Lied «Mein Freund, der Baum, ist tot» nicht besonders cool, auch Schuberts «Lindenbaum» in der Winterreise war nicht mein Ding, Eichendorffs «alter Baum» auch nicht. In Anbetracht der Leichtigkeit, mit denen man solchen «Veteranen» den Garaus macht: Was für ein Irrtum!Urs Stieger, Rüden 19442 Berneck

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