28.05.2020

Materialschwemme in der Brocki

Der Wareneingang bei den Brockenstuben hat sich verdoppelt. Während Corona misten die Leute aus.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Zwei bis drei Tonnen Ware nehmen die Mitarbeitenden der Heilsarmee Brocki Altstätten entgegen. Pro Tag! Auf langen Tischen hinter der Kasse sortieren sie Bücher, Kleider, Haushaltgegenstände und Möbel. «Ein kunterbuntes Sortiment», sagt Filialleiter Kurt Kuster.Tatsächlich räumten viele Menschen während des Lockdowns ihre Keller und Estriche und warteten nur darauf, ihre ausgemusterten Waren abzugeben. Am 11. Mai durften die Brockenstuben wieder öffnen. Gleichzeitig werde auch viel gekauft. «Es läuft momentan sehr gut.» Es befinden sich ständig 50 bis 70 Kunden im Laden. Die Grösse der Verkaufsfläche macht es möglich, die Abstände einzuhalten.Kurt Kuster beobachtet gespannt, wie sich die Lage entwickelt. Sollte sich der Wareneingang und die Kauflust der Kunden weiterhin auf hohem Niveau bewegen, müsste er möglicherweise bald den Personalbestand aufstocken.Kundschaft vermisste es zu stöbernEin grosses Bedürfnis, wieder in die Brocki zu kommen, erfährt auch Markus Oehy von der Blaukreuz-Brockenstube Berneck. «Stammkunden sagen uns, wie sehr sie das Stöbern im Laden vermisst haben.»Er habe zwar regen Betrieb erwartet, die Dimension überrascht ihn dennoch. Es bestehe offensichtlich Nachholbedarf. Es sei eine schöne Bestätigung für die Bedeutung der Brocki und die Arbeit des Personals, das nach zwei Monaten Zwangspause wieder seine Tätigkeit aufnehmen konnte. Derzeit sind noch nicht alle Helfer im Einsatz, da einige von ihnen in Vorarlberg leben und der Grenzübertritt erschwert ist. «Wir leisten mit bedeutend weniger Personal einen erhöhten Aufwand», sagt der Betriebsleiter. Doch die gute Stimmung überwiegt.Die Umsätze der letzten zwei Wochen seien sehr erfreulich und das Sortiment mit guter Ware bestückt. Allerdings drängt sich auch ein Luxusproblem auf: Der Platz wird knapp. «Wir erhalten im Moment von allem viel.» Bei gewissen Artikeln gebe es einen Annahme-Stopp. «Wenn die Möbelausstellung voll ist, müssen wir warten, bis wieder etwas verkauft wird.» Es steht keine zusätzliche Lagerfläche zur Verfügung. Markus Oehy führt eine Kontaktliste und nimmt verkäufliche Waren zu einem späteren Zeitpunkt entgegen.Wer etwas abgibt, ist meist froh, daheim Platz geschafft zu haben und geht mit leeren Händen zur Tür hinaus. Es gibt aber auch jene, die es nicht lassen können und sich bereits das nächste Schnäppchen gönnen.Verein bietet Abholservice anAuch in der Brockenstube des gemeinnützigen Frauenvereins Altstätten sprengt der Andrang den üblichen Rahmen. «So etwas haben wir noch nie erlebt», sagt die Leiterin Astrid Hagger. Die Kunden warten vor der Tür, bedingt durch die Schutzmassnahmen und das grosse Interesse. «Wir erhalten unheimlich viel Geschirr, Spielsachen und Kleider.» Bis zu dreimal pro Woche sammeln Mitglieder des Vereins Waren bei älteren Menschen ein, die selber nicht in die Brockenstube kommen können. Die Artikel stapeln sich kreuz und quer im Laden. Brauchbares von Unbrauchbarem zu trennen, in die Regale räumen und mit Preisen zu versehen, nimmt viel Zeit in Anspruch. Die Mitarbeitenden leisten Extra-Einsätze, um die kleine Brocki im Städtli während den Öffnungszeiten zum gewohnt einladenden Treffpunkt zu gestalten. «Wir sind auch eine Anlaufstelle, um soziale Kontakte zu pflegen», sagt Astrid Hagger.Der Stellenwert der Brockenstuben erlebte in den vergangenen Jahren einen Aufschwung. Schmuddelig war früher.Die Ansprüche sind gestiegenHeute sind die Artikel fast neuwertig, sonst lassen sie sich nicht verkaufen. «Es ist ein Spiegel unserer Wohlstandsgesellschaft», sagt Kurt Kuster. Manchmal hört er den Vorwurf, Brockenhäuser seien heikel geworden und muss Diskussionen führen, weshalb gewisse Artikel nicht annehmbar seien. «Vergilbte Bücher kauft niemand, sie werden zu Ladenhütern. Ausgenommen Raritäten.»Ein Teil der ausgemusterten Kleider wird weitergereicht und kommt Bedürftigen zugute. Dass trotzdem vieles im Abfall landet, lässt sich nicht vermeiden.

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