18.02.2021

«Massnahmen bedrohen uns im Kern»

Die evangelische Kirchgemeinde bietet Alternativen für ihre Aktivitäten. Zentral ist aber das soziale Zusammensein – und das leidet.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
2020 Mitglieder zählt die evangelische Kirchgemeinde. Angestellt, manche im Teilzeitpensum, sind zwei Pfarrer, ein Diakon, ein Jugendarbeiter, vier Religionslehrer, drei Mesmer und eine Sekretärin. Dazu kommen 180 Freiwillige, die in verschiedensten Funktionen mithelfen. Nebst der Kirche gehört das Pfarr- und das Kirchgemeindehaus zu den Anlagen. Ein ökumenisches Projekt ist der Eckpunkt, dort werden Lebensmittel abgegeben und ausserhalb von Lockdown-Zeiten ein Mittagstisch und Treff betreut. Präsident Roger Benz steht der Kirchgemeinde seit fünf Jahren vor. Der 52-Jährige ist verheiratet und bereits seit elf Jahren im Vorstand.Erste Welle«Die Pandemie machte sich bemerkbar, als es erste Einschränkungen an Veranstaltungen gab», sagt Roger Benz, Präsident der Evangelischen Kirchgemeinde Altstätten. Limitierte Gruppengrössen machten Personenkontrollen nötig. Da viele ältere Menschen, die zur Risikogruppe gehören, die angebotenen Anlässe besuchten, stellte sich schnell die Frage, ob und in welchem Rahmen die Durchführung jeweils noch verantwortbar war. Zumal oftmals die Mitgestalter zu den stärker gefährdeten Personengruppen gehörten. Der erste Lockdown stoppte dann sämtliche Treffen, das komplette Angebot musste angepasst werden. Neuland betrat die Kirchgemeinde, indem sie den Gottesdienst nur noch online ausstrahlen konnte. «Ein Vorteil war, dass wir in den Jahren zuvor in die Technik investiert hatten und darum relativ schnell umstellen konnten», sagt der Kirchenpräsident. Allerdings habe man den Aufwand, für Youtube ein Video zu produzieren, zuerst unterschätzt. Jetzt umfasst das Technikteam 16 Personen. Manche Mitarbeiter hatten in der Übergangsphase sogar mehr Arbeit als zuvor. Die Mitgestalter der Gottesdienste fanden es nicht einfach, einen solchen vor den leeren Kirchenbänken abzuhalten. Auch andere Angebote, wie etwa ein Gebetskreis, wurden online abgehalten. Neu ausrichten mussten sich die Religionslehrer. Eine Lehrerin etwa half im Kinderheim Bild aus, andere starteten Aktionen, fokussierten auf ein Thema, liessen die Kinder Zeichnungen machen. «Am wenigsten Mühe mit der Umstellung, den Gerätschaften und Programmen hatten wohl die Jugendlichen, die dem Konfirmandenunterricht online beiwohnten», lacht Benz. Es installierten sich neue Formen: Der Kontakt mit Kirchgemeindemitgliedern wurde über das Telefon gesucht, auf der Website gab es nun das Wort zum Tag und jeweils am Donnerstag rief Glockengeläut zum Gebet auf. In der Kirche, die geöffnet bleiben durfte, lief für Besucher eine Tonbildschau. Weiter funktionierte das ökumenisch betreute Projekt, die Lebensmittelabgabe im Eckpunkt – andere Aktivitäten dort mussten gestoppt werden. «Insgesamt waren wir gut aufgestellt», bilanziert Kirchenpräsident Roger Benz. Nicht perfekt abdecken liess sich der sensible Bereich der Beerdigungen, an denen sich jeweils nur der engste Familienkreis von einer geliebten Person verabschieden konnte.ZwischenzeitIn dieser Phase gab es sogar etwas mehr Hochzeiten als in anderen Jahren. Obwohl es für das Paar eine Herausforderung war, die Festivitäten unter ein funktionierendes Sicherheitskonzept zu stellen. Ab dem 14. Juni durften wieder Gottesdienste durchgeführt werden. Die Verunsicherung in der Bevölkerung war daran spürbar, dass weniger Personen teilnahmen. Obwohl es in der grossen Kirche kein Problem ist, Abstand zu halten und aus Sicherheitsgründen jede zweite Bank gesperrt wurde. «Wir stellten in dieser Zeit fest, dass wir mit Mittagstischen, Kirchencafés etc. eigentlich viel bieten», sagt Roger Benz. Denn es galt, wenn sicherheitstechnisch überhaupt durchführbar, solche Anlässe nach den geltenden Regeln auszurichten, etwa Ein- und Ausgänge zu markieren, Abstände zu kennzeichnen, Desinfiziermittel bereit zu stellen. Die Verantwortlichen hielten sich dabei an die Regeln der Gastronomiebranche. «Wir profitierten von der Baute, die wir vorletztes Jahr auf dem Kirchenareal erstellten und in der auch Bänke und Tische eingelagert sind. So konnten wir bei gutem Wetter draussen schnell ein Café einrichten», sagt der Kirchenpräsident. Das Kinder- und Jugendprogramm wurde wieder aufgenommen und wenn möglich draussen abgehalten. In diese Zwischenzeit fiel auch das Konfirmandenlager und die Konfirmation selbst, die unter fast normalen Umständen stattfanden. Ebenfalls gerade noch durchgeführt werden konnte die Kunstausstellung «Urkraft Hoffnung». Die damals geltende Obergrenze von maximal 50 Personen in einem Raum wurde während der drei Wochen dauernden Ausstellung nicht gesprengt. Zweite WelleBei der zweiten Welle griff bereits eine gewisse Routine, zumal es bereits ab August erste Einschränkungen gab, die Änderungen erforderte. Die Maskenpflicht ab Ende Oktober machte kleinen vertrauten Runden zu schaffen – es ist nicht dasselbe, wenn man das Gesicht seines Gegenüber nicht wirklich sieht. Apéros konnten nicht mehr durchgeführt werden, weil nur noch im Sitzen gegessen werden durfte. Die Geselligkeit bei Anlässen fiel weg. Ein grosses Thema war das Singverbot, das erstmals ausgesprochen wurde. Damit tat sich nicht nur der Organist schwer, denn Singen ist fester Bestandteil eines Gottesdienstes. Auch der Kirchenchor konnte so nicht mehr auftreten. «Es fühlte sich etwas an, als ob man einen Maulkorb verpasst bekäme», beschreibt Roger Benz die Situation. Immerhin durften 50 Leute am Gottesdienst teilnehmen und die Mitgestalter hatten ein Publikum vor sich. Keine Probleme verursacht die vorgängige Anmeldung, die auf dem Sekretariat oder der Website gemacht werden kann, wo gleich die Zahl der bereits Angemeldeten ersichtlich ist. Ebenfalls ist nun die Sonntagsschule erlaubt und bis 19 Uhr darf das Jugendprogramm durchgeführt werden. «Dank topmotivierten Mitarbeitern funktioniert das bestens, auch online», lobt Kirchenpräsident Roger Benz. Er erwähnt dabei das Krippenspiel von Weihnachten , das mit grossem Aufwand verfilmt wurde und über 500 Mal angeklickt wurde. Zwei Techniker investieren zurzeit je vier bis fünf Stunden, um den Gottesdienst online anbieten zu können. Sitzungen werden virtuell durchgeführt und die Sekretärin arbeitet im Homeoffice.AusblickDass die Kirchgemeinde an technischem Know-how gewonnen hat und nun auf zeitgemässem Level ist, verbucht der Präsident als positiv, gerade auch mit Blick in die Zukunft. Trotzdem sieht Benz die christliche Glaubensgemeinschaft der evangelischen Kirchgemeinde durch die ganzen Massnahmen im Kern bedroht. «Die Kirche ist ein Ort der Begegnung, das gemeinschaftliche Zusammensein ist zentral. An Anlässen etwas miteinander zu essen und zu trinken ist dazu da, um Zeit miteinander zu verbringen, sich auszutauschen und sich näher zu kommen.» Das könne man nicht durch Online-Angebote ersetzen. «Ich hoffe, dass sich die Leute nach so langer sozialer Abstinenz und der Gewöhnung, alleine zu Hause zu sitzen, wieder aufraffen, an Anlässen teilzunehmen, sobald dies möglich ist», sagt der Kirchenpräsident. Die Leute in Zukunft wieder dazu zu bringen, sich zu treffen, der Einsamkeit zu entfliehen, sieht er denn auch als grosse Herausforderung der Kirche. Entsprechend wird bereits jetzt ein ökumenisches Projekt gegen die Einsamkeit unterstützt.Reto WälterUnsere Serie zeichnet chronologisch nach, was sich für die Menschen aus der Region in den einzelnen Phasen der Pandemie verändert hat.

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