21.10.2018

Massaker an Fliegenpilzen

Während der goldenen Oktobertage spriessen die Pilze. So viele wie selten in diesem Herbst. Entsprechend hoch ist die Zahl der Vergiftungen, und entsprechend oft werden giftige Pilze niedergetrampelt.

Von Margrith Widmer
aktualisiert am 03.11.2022
In Ostschweizer und Aargauer Wäldern, auch in Deutschland, ist das Pilz-Zerstörungs-Phänomen bekannt. Manche Sammler der älteren Generation zerstörten ungeniessbare Pilze, damit unerfahrene Sammler nicht giftige Pilze pflückten, sagt ein Pilzsammler aus Deutschland. «Aus Unwissenheit habe ich früher auch Giftpilze zertreten, weil ich nicht wollte, dass andere sie aus Versehen sammeln. Jetzt, Jahre später, weiss ich, dass das blöd war», räumt ein anderer ein.Aufklärungsarbeit sei nötig, sagt Marionna Schlatter-Schmid von der Schweizerischen Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane (Vapko). Ohne Pilze gebe es keine Bäume. Mykorrhizapilze leben in Gemeinschaft mit den Wurzeln der Bäume. Diese Symbiose bringt sowohl dem Pilz als auch dem Baum Nutzen.Der Baum kann Nährsalze und Wasser aus dem Boden besser aufnehmen und ist weniger anfällig gegen Krankheiten, Trockenheit und Frost. Der Pilz erhält dafür Zucker vom Baum. Saprobe Pilze zersetzen abgestorbene Wurzeln, Blätter, Nadeln und Holz zu Humus. So sorgen sie dafür, dass Nähr- und Mineralstoffe dem Stoffwechsel der Natur zurückgegeben werden.Hunde können sich vergiftenMenschen, die keinen Zugang zur Natur hätten, würden Pilze mutwillig zerstören, sagt Marionna Schlatter-Schmid. Eine Ausnahme seien Privatgärten mit Kleinkindern und Haustieren, in denen Giftpilze wüchsen. Diese sollten entfernt werden. Auch Hunde können sich mit Waldpilzen vergiften. Risspilze ziehen Hunde offenbar magisch an; kleine Hunde reagieren nach dem Fressen solcher Pilzchen mit extremem Speichelfluss und können daran sogar ersticken.Echte und unechte PilzvergiftungenWenn viele Pilze in den Wäldern spriessen, kommt es auch zu zahlreichen Vergiftungsfällen, wie Katharina Schenk-Jäger von Tox Info Suisse sagt. Von den insgesamt rund 40000 Vergiftungs-Anfragen pro Jahr betreffen jeweils 1,5 bis 2,5 Prozent Pilzvergiftungen. Allerdings sind bei Magenkrämpfen, Bauchgrimmen und Durchfall nicht immer Giftpilze die Auslöser.Es gibt auch unechte «Pilzvergiftungen», die eigentlich Lebensmittelvergiftungen sind. Entstehen können sie durch unsachgemässe Pilzbehandlung, beispielsweise durch den Verzehr zu grosser Mengen oder von überalterten, verdorbenen, falsch gelagerten Pilzen.Die Symptome treten relativ schnell aufDie eiweissreichen Fruchtkörper der Pilze verderben rasch, vor allem, wenn sie ungekühlt oder in Plastik gelagert werden. Pilze können auch schon beim Verkauf überlagert sein. Zuchtchampignons und andere, festfleischige Zuchtpilze können einige Tage gekühlt aufbewahrt werden, während Wildpilze innert 24 Stunden verarbeitet und entweder konsumiert oder eingefroren werden müssen. Gerichte dürfen innert 24 bis 48 Stunden aufgewärmt werden, sofern sie rasch abgekühlt und im Kühlschrank aufbewahrt wurden, heisst es in einem Text von Katharina Schenk-Jäger.Die typischen Symptome nach Verzehr verdorbener Pilze wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall treten meist innert vier Stunden auf. Die meisten Pilzarten müssen mindestens zehn, einige 20 Minuten lang gekocht oder vorher abgebrüht werden. Andernfalls kann es mit innert einer bis vier Stunden zu Magen-Darm-Symptomen mit Erbrechen und Durchfall kommen, wie es auf Tox Info Suisse heisst. Besonders heikel ist die richtige Zubereitung des sehr beliebten Parasols (Macrolepiota procera). Dieser stattliche Lamellenpilz mit Hutgrössen bis 25 Zentimeter hat ein derb-hartes Zentrum in der Hutmitte, das im Gegensatz zum weichen, fast luftigen Hutfleisch bei den Lamellen oft nicht genügend gegart wird. Zu Magen-Darm-Symptomen führt auch die unsachgemässe Zubereitung von Pilzarten, die zuerst abgebrüht werden müssen. Das Kochwasser muss weggeschüttet werden. Auch der Konsum von rohen Pilzen kann zu Magen-Darm-Beschwerden führen, schreibt Schenk-Jäger.Mindestens 20 Minuten lang gekocht werden müssen laut Tox Info Suisse der Flockenstielige Hexenröhrling, Perlpilz, Maronenröhrling und der Rotstielige Ledertäubling. Abgebrüht und das Kochwasser weggegossen werden müssen Nebelkappe und Hallimasch. Was sich oft auch nicht verträgt, sind Pilze und Alkohol. Beim Essen von Faltentintlingen oder Spitzschuppigen Stachelschirmlingen kann es, zusammen mit Alkohol, zum sogenannten Coprinus-Syndrom kommen: Schweissausbrüche und Kreislaufprobleme sind die Folge. Tox Info rät, selbst gesammelte Pilze immer auf einer Pilzkontrollstelle begutachten zu lassen. Die Kontrolleure und Kontrolleurinnen beraten auch zur korrekten Lagerung und Zubereitung – und verraten zuweilen auch Rezepte.Pilze müssen vor der Zubereitung sorgfältig geputzt, Frassstellen grosszügig entfernt, verdorbene Pilze weggeworfen werden. Pilze sollten immer möglichst frisch verwendet werden. Reste müssen unbedingt im Kühlschrank aufbewahrt werden. Bei Magen-Darm-Symptomen rät Tox Info, viel zu trinken. Betroffene mit Vorerkrankungen, Kinder und Betagte sollten bei mehr als leichten Symptomen einen Arzt konsultieren.Margrith WidmerHinweiswww.vapko.ch; www.toxinfo.ch; Tox-Info-Notfallnummer bei Vergiftungen: 145.

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