14.02.2020

«Manchmal braucht es etwas Mut»

Gabriela Uhl ist seit Geburt gehörlos. Seit zwei Jahren hat sie zudem keine Stelle mehr.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Ihr Traum, eine 60-Prozent-Stelle, ist mit keinem besonderen Anspruch verbunden. Ob im Lager, im Büro, als Servicemitarbeiterin in einem Café oder Bistro – Gabriela Uhl ist für vieles offen. In Amerika war sie fast zwei Jahre als Modeverkäuferin tätig, was ihr sehr gefiel.Laborantin gelernt und in Amerika studiertNach dem Besuch der Oberstufe für Gehörlose (heute auch für Schwerhörige) absolvierte Gabriela Uhl am St. Galler Kantonsspital eine Lehre als Laborantin.Nach mehrjährigem Wirken in ihrem Beruf begab sie sich auf eine halbjährige Weltreise, in deren Verlauf sie in Neuseeland 1989 den Deaflympics beiwohnte. Das ist ein alle vier Jahre stattfindender Wettbewerb im Gehörlosensport.Ein paar Monate später ging der Besuch eines kulturellen Festivals in Washington dem festen Willen voraus, in der Hauptstadt der USA zu studieren. Hier gab es die erste und damals einzige Universität für Gehörlose. Die Schweizerin lernte Englisch, um sich als Studentin Fächern wie Linguistik, Geschichte und Gebärdensprache widmen und an der Gallaudet University einen Bachelorabschluss machen zu können.Zwölf Jahre verbrachte Gabriela Uhl, verheiratet mit einem wie sie gehörlosen Amerikaner, in Virginia, wobei sie die Gebärdensprache neu erlernen musste. Jedes Land hat seine eigene, in der Schweiz gibt es drei – die Französische, die Tessiner und die Deutschschweizer Gebärdensprache. Nach der Trennung von ihrem Gatten kehrte Gabriela Uhl mit 42 in die Schweiz zurück.Neue Strategie hatte Kündigung zur FolgeAls um 1990 erstmals die Ausbildung zur Gebärdensprachenlehrerin möglich war, nahm Gabriela Uhl sie zwar in Angriff, brach sie aber zugunsten des Studiums ab.Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz genoss sie an der In­terkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich eine Zusatzausbildung für Gebärdensprache. Sie wurde Gebärdensprachlehrerin für Erwachsene, erlangte vor sieben Jahren den Fachausweis SVEB 1-5 und arbeitete zuletzt als soziokulturelle Animatorin.Als Angestellte des Schweizerischen Gehörlosenbundes arbeitete sie im Gehörlosenzentrum Habsburg in St. Gallen, wo sie Erwachsenenkurse zu vielen Themen organisierte und für alte Menschen unter dem Motto «Gemeinsam statt einsam» Treffs durchführte.Gleichstellungsgesetz verpflichtet BehördenIm Zuge einer neuen Strategie erhielt Gabriela Uhl nach neunjährigem Wirken für den Gehörlosenbund die Kündigung. Bis im letzten Frühjahr konnte sie als Gehörlosenlehrerin weiterarbeiten, seither erledigt sie diesen Job für die Migros-Clubschule.Es handelt sich um ein verschwindend kleines Pensum, das Gabriela Uhl aber sehr wichtig ist.Wer hören kann, ist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bewusst, was es bedeutet, gehörlos zu sein.Das Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet die Behörden, die Kommunikation mit Menschen sicherzustellen, die eine Hörbehinderung haben. Die Betroffenen haben das Recht, sich mit staatlichen Behörden in ihrer Sprache, also der Gebärdensprache zu unterhalten, wobei es an den Behörden liegt, einen Gebärdendolmetscher aufzubieten und zu be­zahlen.Dass sich trotz klarer Bestimmung nicht alle Amtsstellen zuvorkommend verhalten, kann das Leben ebenso erschweren wie die Fehleinschätzung von Bekannten oder Angehörigen, wenn diese zum Beispiel vor einem wichtigen Gespräch verwundert fragen: «Wieso ist ein Dolmetscher hier?» So etwas treffe sie, sagt Gabriela Uhl. Ein Dolmetscher sei ja nicht für die Hörenden da, sondern für sie, die Gehörlose.Technische Entwicklung erleichtert manchesIm Alltag kommt Gabriela Uhl sehr gut zurecht. Natürlich gibt es aber Situationen, die sie fordern. Fällt ein Zug aus, hört sie nicht, was über Lautsprecher berichtet wird. Dann ist sie auf die Hilfe Fremder angewiesen. Oder was tun, wenn in der Parkgarage, wie kürzlich geschehen, der Automat das nötige Ausfahrticket nicht ausgibt? Gehörlose Bekannte hatten schon mal eine Panne auf der Autobahn.Die technische Entwicklung komme ihr entgegen, sagt Gabriela Uhl. Seit eineinhalb Jahren besteht nun auch ein gehörlosengerechtes Alarmsystem für den Notfall, als App zum Herunterladen.Auch der Sprachgebrauch bringt die Fortschritte deutlich zum Ausdruck: Als Gabriela Uhl bis zur siebten Klasse eine Sprachheilschule in St. Gallen besuchte, dort im Internat zu leben hatte und nur alle zwei Wochen nach Hause durfte, hiess die Schule noch Taubstummenanstalt.Damit sie dort den Unterricht geniessen konnte, waren die Eltern mit ihr und den zwei Brüdern von Davos zunächst nach St. Margrethen und dann nach Rheineck gezogen, wo Gabriela Uhl heute das Elternhaus bewohnt.«Fit, lebensfroh und motiviert»Ihre zweijährige Tätigkeit als Modeverkäuferin in den USA wertet Gabriela Uhl als gutes Beispiel für die Möglichkeit, im beruflichen Kontakt mit Menschen auch gehörlos zu bestehen. Bei der Herstellung eines zweiminütigen Bewerbungsvideos hat sie der Verein für Sprache und Integration für Gehörlose unterstützt.Sie sei «fit, lebensfroh und motiviert», sagt die 58-Jährige im Video. Weil Gabriela Uhl in der Gebärdensprache spricht, ist ihr Auftritt mit Untertiteln versehen. Sie liebe Menschen, arbeite gern mit anderen und sei kontaktfreudig, erzählt sie. Trotzdem bekommt sie nur Absagen. Woran das liegt? Das wüsste sie auch gern, sagt Gabriela Uhl, wobei sie sich den Grund natürlich denken kann. In ihrem Video erwähnt sie ihn. Gemeint ist die Unsicherheit von Arbeitgebern gegenüber gehörlosen Menschen – eine Unsicherheit, die sie versteht. Hingegen fragt sie sich, weshalb sie nie die Chance bekomme, wenigstens zu schnuppern. Sie selbst müsse doch manchmal auch mutig sein.HinweisGabriela Uhl zu kontaktieren ist am besten elektronisch möglich. In der Hoffnung, doch noch zu einer neuen Stelle zu kommen, hat sie eine separate E-Mail-Adresse eingerichtet: SucheArbeit2020@hotmail.com

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