03.07.2020

Manche Themen fielen einfach weg

Gestern gab es Zeugnisse. Die Noten sollen die Schuljahresleistung spiegeln. Was sie Wert sind, wird sich erst zeigen.

Von Andrea C. Plüss
aktualisiert am 03.11.2022
Andrea C. PlüssGestern ging das Schuljahr zu Ende. Anders als zum Beispiel im Kanton Zürich, erhielten die Schülerinnen und Schüler im Kanton St. Gallen ein Jahreszeugnis mit Noten. Berücksichtigt wurden dabei pro Fach alle benoteten Tests des gesamten Schuljahrs 2019/2020. Erst während der letzten vier Wochen hatten auf Weisung des Erziehungsdepartements benotete Prüfungen durchgeführt werden dürfen, meist eine pro Fach, manchmal zwei. Das Halbjahreszeugnis, das Yvonne Andersch aus Widnau für ihren Sohn Quinn Ende Januar unterschrieben habe, sei aus der Zeugnismappe entfernt worden. «Das gibt es nicht mehr, sondern nur das Jahreszeugnis Schuljahr 2019/2020», sagt sie. Sohn Quinn sei (auch mit Blick auf die Noten) grundsätzlich gut durch die Corona-Schulzeit gekommen, wenngleich ihrer Meinung nach Viertklässler im Homeschooling mit einem Wochenplan überfordert seien, wenn sie die Aufgaben ohne Hilfe zu erledigen hätten. Yvonne Andersch und ihr Mann Michael, beide berufstätig, betreuten im Wechsel und manchmal auch parallel die Söhne Quinn und Robin, der jetzt die 3. Klasse abschloss. «Manchmal haben wir nachmittags oder abends zwei bis drei Stunden dagesessen und erklärt», gibt die Mutter an. «Es hat uns gefreut, dass sehr viele Kinder mit ihren Eltern in der Homeschooling-Phase hervorragend gearbeitet haben», sagt Manuel Sieber, Schulleiter am Schulhaus Wyden (Klasse 4 – 6), Widnau. Auch Sandro Hess, Schulleiter am Oberstufenschulhaus Feld in Altstätten hält fest, die Zusammenarbeit Eltern-Schule «war in den meisten Fällen sehr erfolgreich».Viel Lob für alle von allen SeitenBereits während der Homeschooling-Phase gab es viel Lob: Lehrer lobten ihre Schüler, die von zu Hause aus schulisch am Ball blieben. Eltern lobten die Lehrpersonen ob ihres Einsatzes, die Lehrerschaft dankte den Eltern für deren Unterstützung der Kinder bei der Bewältigung des Schulstoffes im heimischen Umfeld. Die Ausnahmesituation traf alle zur gleichen Zeit. Allein etwa 8000 Rheintaler Schülerinnen und Schüler der Volksschule (inkl. Kindergarten), dazu Schulratspräsidenten, Lehrpersonen, und Eltern – das verbindet. Es traf aber längst nicht alle gleich. Vor allem die Kinder, die zu Hause kaum oder keine Unterstützung bekamen, hatten es schwer. Wer sich nicht gut selbst organisieren konnte, obwohl es vom Alter her eigentlich hätte vorausgesetzt werden können, fiel durch die Maschen.«Unzuverlässige Schüler und Kinder, deren Eltern ihnen nicht die nötige Unterstützung bieten konnten, waren die grossen Verlierer dieser Zeit», bilanziert Schulleiter Manuel Sieber. Individuelle Förderung sei aufgrund der Einschränkungen und mangelnder Zeit während des Homeschoolings kaum möglich gewesen und konnte erst mit Beginn des Halbklassenunterrichts wieder umgesetzt werden. Abstriche in allen Fächern und Stufen Aufgrund des Fernunterrichts, bei dem die Repetition und Übung bekannter Inhalte im Vordergrund standen, und des faktisch verkürzten Präsenzunterrichts durch die Halbklassenphase konnte der Lernstoff nicht wie vorgesehen vermittelt werden. Die Unterrichtsplanung und -organisation musste sich den Gegebenheiten anpassen, sagt Schulleiter Sandro Hess.Den Lernstoff digital 1:1 umzusetzen, als Abbild des Unterrichts im Schulzimmer, sei aktuell nicht möglich. Nach Meinung Manuel Siebers wäre es einem Wunder gleichgekommen, «hätten die Lehrerinnen und Lehrer trotz der Ausfälle und des Homeschoolings ihre ursprünglich geplanten Inhalte komplett vermitteln können».Über alle Klassenstufen hinweg sind Teilbereiche oder ganze Themen weggefallen. «Abstriche wurden in allen Fächern gemacht», gibt Schulleiter Sieber unumwunden zu. Innerhalb der Stufen hätten sich die Lehrer darüber abgesprochen.Lassen die Lehrer der 6. Klassen die Schüler mit gutem Gefühl in die Oberstufe ziehen? «Wir sehen dem Wechsel gelassen entgegen», sagt Sieber. «Wir wissen, dass wir unser Bestes gegeben haben.» Beim Lernstoff habe man Prioritäten gesetzt. Auch Sandro Hess relativiert Ängste vor Wissensdefiziten, wenn es zum Beispiel um einen Wechsel auf die Kanti geht. Die Coronakrise sei für die allermeisten Schülerinnen und Schüler «temporär ungewohnt», aber «mittelfristig eine absolut verkraftbare Erfahrung», so der Schulleiter der Oberstufe Feld. Unsicherheiten seien bei allen Stufenübertritten «vorprogrammiert», sagt Manuel Sieber. Auch bei den neuen Viertklässlern, die im August ins Schulhaus Wyden kommen, werden «die Wochen des Homeschoolings spürbar sein». Nicht nur die Schulschliessungen wegen Corona stellen eine Besonderheit dar, auch der Schuljahresbeginn Anfang August wird unter anderen Vorzeichen stehen. Die Wiederholungseinheiten, die stets zu Anfang eines neuen Schuljahres durchgeführt werden, bekommen mehr Gewicht. «Es wird ein Balance-akt», glaubt Manuel Sieber, denn der Schulstoff der Mittelstufen-Schuljahre sei generell sehr dicht. «Am meisten Bauchweh macht mir die Berufswahlvorbereitung der 2. Oberstufe», sagt Schulleiter Sandro Hess. Die Schule hätte nicht in gewohntem Mass unterstützen können, und die praktischen Erfahrungen durch Schnupperlehren seinen auch eingeschränkt gewesen.Die Übertrittsgespräche für die Real oder die Sek waren bereits vor dem Lockdown erfolgt. «In Härtefällen waren die Lehrpersonen aufgrund der besonderen Situation kulant», so Mittelstufenschulleiter Manuel Hess.

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