16.04.2018

Magie um Mitternacht

Die Eltern führten im Hotel «Isebähnli» jahrzehntelang ein Speiserestaurant, der Sohn heute eine magisch anmutende Bar. Samstagnacht wurde es mystisch – mit einer Séance.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
Seraina HessAus den Boxen rieselt leiser Memphis Blues, während sich zehn Gäste um den Stammtisch versammeln. Gäste wie Bruno Schefer, der noch immer vom Züri-Gschnätzlets schwärmt, das man hier einst essen konnte. Oder Cécile Eugster, die von der heutigen «Magie» ganz angetan ist. Es ist ein kleines Grüppchen, das sich zur Vaudeville-Party zu Howard Thurstons Todestag (siehe Kasten) eingefunden hat – und die meisten taten es nicht einmal des Events wegen, sondern einfach, um sich den letzten Absacker vor dem Nachhauseweg zu genehmigen.Keine Zauberer-Szene also, die Markus Köppel mit seiner Nische bedient. Der 49-Jährige Unternehmer, Neo-Gastronom und Zauberkünstler ist der einzige, der sich dem Motto entsprechend in Magier-Kluft der 1920er-Jahre geworfen hat. Der Schweiss glänzt auf seiner Stirn, als er die Karten von einem ausgewählten Medium zu seiner Rechten mischen lässt. Die Runde wartet, es ist kurz vor Mitternacht – die angekündigte Séance soll etwas bieten.Begriff «Séance» erntete Kritik im VorfeldKöppel, Mitglied des Magischen Rings der Schweiz, hat das Lokal der Eltern Anfang Jahr übernommen und führt es von Donnerstag- bis Samstagabend nebenberuflich, tagsüber arbeitet er für seine Software-Firma. «Ein Speiserestaurant kam nicht in Frage, eine Bar traute ich mir aber durchaus zu», sagt er. Sein Hobby liess er in die Einrichtung, die er mit der Schwester in Brockenstuben zusammengesucht hat, einfliessen: etwas vintage, etwas antik, gepaart mit Fotos und Showplakaten alter Magier. Aus dem Restaurant «Isebähnli» wurde die «52 Magic Bar» – 52 für die Anzahl Karten in einem Set.Zur Zauberkunst gefunden hat Köppel durch die Tochter, die sich vor acht Jahren dafür interessierte. Ihr Interesse ist erloschen, jenes des Vaters geblieben. Kartentrick um Kartentrick brachte er sich bei, skriptete seine Show, sodass die Zeit reif wurde für den Auftritt im eigenen Lokal. Allerdings habe der Begriff «Séance» im Vorfeld Aufsehen erregt: Auf Facebook wurden unter einem Posting kritische Stimmen laut. Die Anspielung auf die Spiritualität und die Absicht, mit Toten – in diesem Fall mit dem verstorbenen Magier Howard Thurston – in Kontakt zu treten, stiess auf Ablehnung. Doch die Koketterie mit dem Übersinnlichen und dem Aberglauben war natürlich Show, wie die gesamte Aufführung in der kleinen Runde.Und die gelingt Magier Köppel in dieser Samstagnacht. Verblüffung das erste Mal, als das vom Medium genannte Stichwort «Leben» nach Mischen und Abheben mehrer Karten mit Kreide geschrieben auf der Rückseite erscheint. Oder, als Thurstons aufbeschworener «Geist» die von Cécile Eugster gewählte und nicht preisgegebene Karte tatsächlich aus dem Stapel fliegen lässt. Selbst Bruno Schefers Wunsch, das Jahr seines ersehnten Faustball-Weltmeistertitels zu erfahren, erfüllt der Geist (wohl augenzwinkernd): 2105 soll das Szenario eintreten.Die Aufmerksamkeit, mit der die Gäste den Tricks folgen, erstaunt Markus Köppel. «Auch wenn sich in der Bar noch keine Zauberszene eingefunden hat – vielleicht kommt das noch.»Als Aufhänger des EröffnungsEvents in der «52 Magic Bar» diente der Todestag von Howard Thurston (1869 bis 1936), einer der bekanntesten Grossillusionsmagier seiner Zeit. Mit einer Show zog er um die Jahrhundertwende durch Amerika, wobei sich schnell sein wahres Steckenpferd abzeichnete: Kartentricks, was ihm den Beinamen «King of Cards» einbrachte. Der Begriff «Vaudeville», unter dessen Motto die Party stand, spielt auf die Bühnenunterhaltungs-Gattung zu Thurstons Zeit an. Gemäss Online- Enzyklopädie Wikipedia bestand das US-Vaudeville aus einer «temporeichen Zusammenstellung gemischter Nummern in der Art eines Varietés». Populär war das Theatergenre im Nordamerika der 1880er-Jahre; den Niedergang erlebte es ab den 1920ern mit dem Aufkommen des Radios und des Tonfilms. (seh)

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