Bis Ende Januar war «die Frau mit dem Velo» die Altstätter Ortsvertreterin von Pro Senectute. Nach wie vor legt sie täglich bestimmt 20 Kilometer zurück, und dies aus eigener Kraft, ohne Elektroantrieb. Dabei hat Erika Ritz ein Alter erreicht, in dem es keine Überraschung wäre, würde sie selbst Dienstleistungen von Pro Senectute beanspruchen. Am 7. Juni wird sie 85.Mit einem Tanz den Bann gebrochenIn dreieinhalb Jahrzehnten hat Erika Ritz sicher weit über 3000 alte Menschen besucht, um ihnen zu ihrem (hohen) Geburtstag zu gratulieren. Dass der Brauch beendet wurde, findet sie sehr schade.Fast ebenso lang war sie als Haushelferin tätig. Sie hat während vielen Jahren die Senioren-Ferienwoche organisiert, die Herbstsammlung betreut und ein Vierteljahrhundert die Tanznachmittage durchgeführt.Tanzt sie auch selbst? «Jo-jooo», sagt sie mit grossen Augen und lang gezogenem O, worauf ein Lachen folgt. Wann immer neue männliche Gesichter hergefunden hatten, bat sie sie zum Tanz, damit der Bann gebrochen war. Werweisste jemand, ob ein solcher Nachmittag für sie oder ihn wirklich das richtige sei, half sie kurzerhand nach, indem sie sich als Taxidienstlerin betätigte.Gatte hat Termin für Preisübergabe beeinflusstErika Ritz, aufgewachsen in einer Bergbauernfamilie mit neun Schwestern und zwei Brüdern im Kanton Luzern, gelernte Blumenbinderin mit anhaltend grosser Begeisterung für Blumen, ist seit 1980 in Altstätten zu Hause. Hierher kam sie mit ihrem Mann Alfred, einem Geschäftsführer, dessen regionale Bekanntheit öfter zur Bemerkung führte: «Ah, d’ Frau vom Fredi.»Als die Ortsvertreterin von Pro Senectute im Jahr 2008 den Anerkennungspreis der Stadt Altstätten erhielt, hatte ihr Gatte erfolgreich die Vorverlegung der Bürgerversammlung empfohlen. Denn er wusste, dass der eigentlich vorgesehene Wochentag seiner Frau angesichts ihres vielseitigen Wirkens nicht gepasst hätte und sie (weil uneingeweiht bis zur Preisverleihung) nicht gekommen wäre.Heute in zwei Vereinen die ÄltesteDie leidenschaftliche Skifahrerin dürfte für Pro Senectute schon deshalb ein ideales Aushängeschild gewesen sein, weil sie zu sich schaut. Kaum in Altstätten angekommen, trat Erika Ritz den Gymnastikdamen bei, sie wirkte zwei Jahrzehnte als Kassierin. Mittlerweile ist sie, wie im katholischen Kirchenchor, die Älteste. Dass sie fleissig Velo fährt und trotz eines unverschuldeten Zusammenpralls auf der Piste mit achtzig Jahren zum Skifahren zurückfand, ist umso beachtlicher, als Erika Ritz beide Sprunggelenke gebrochen hatte.Auch das Schwimmen und die täglich praktizierten Fünf Tibeter, Körperübungen für Atem- und Bewegungsfluss, halten sie fit. Gegen Badesaisonende hat sie früher ihre vielen Fahrten zum Kriessner Baggersee auch fürs Spendensammeln genutzt, so dass die Herbstsammlung für sie nicht bei null begann. 12000 Franken am Anfang, 30000 zum SchlussAls Erika Ritz 1986 für die Herbstsammlung verantwortlich wurde, brachten 22 Helfende insgesamt etwa 12000 Franken für Pro Senectute zusammen. 16 Jahre danach, im letzten Jahr, kam ein achtköpfiges Team auf 30000 Franken. Erika Ritz hatte die runde Summe als Ziel angestrebt, fürchtete aber, es knapp zu verfehlen. Da schickte ihr ein Unternehmer, der anonym bleiben wollte, überraschend einen Check über 1000 Franken und dazu die Worte «Sali, Erika, damit du dein Ziel erreichst». In der «Zeitlupe», einem Magazin für Seniorinnen und Senioren, wurde Erika Ritz daraufhin so zitiert: «Die Freude (…) hätte nicht grösser sein können, wenn das Geld für mich persönlich gewesen wäre.»Vor allem im Berggebiet, also am Kornberg, auf dem Ruppen und am Warmesberg, hat Erika Ritz als Spendensammlerin neue Massstäbe gesetzt. Im Auto fuhr sie jeweils in die Höhe, um dann zu Fuss ihre Tour zu machen. Anfänglich seien auch viele Zweifränkler oder Fünfliber beigesteuert worden, und eine Frau hatte ihr Zehnernötli mit dem Hinweis dargeboten, der Mann dürfe es aber nicht wissen. Die Bereitschaft, Pro Senectute zu unterstützen, stieg – und die jährliche Zuwachsrate im ganzen Sammelgebiet betrug dank immer neuer Sammelraffinesse gut und gern 2000 Franken.Junger Deutscher wollte Quittung habenEin besonderes Erlebnis hatte Erika Ritz am Kornberg, wo ein junger Deutscher wohnte und sie fragte, ob er, wenn er spende, eine Quittung haben könne. Als die Ortsvertreterin bejahte, ging er kurz ins Haus, um mit vier Hunderternoten zurückzukehren. Die Begeisterung der Sammelnden scheint frisch wie eh und je, als sie davon erzählt: So etwas, sagt sie, habe sie sonst nie erlebt.Ehemaliger Bundesrätin nach Referat begegnetNachdem Erika Ritz 2017 der früheren Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf bei deren Referat in St. Gallen persönlich begegnet war, kam es zu einer kleinen Korrespondenz zwischen den Frauen. Widmer-Schlumpf als Präsidentin des Stiftungsrates Pro Senectute Schweiz entbot Erika Ritz in einem handgeschriebenen Brief ein «ganz herzliches Dankeschön» für ihr «langjähriges riesiges Engagement für Pro Senectute».Auch der Regionalstellenleiter fand schöne Worte für seinen im Arbeitszeugnis enthaltenen Satz: «Aus ihrer grossen Liebe dem Leben, der Natur und im Besonderen den älteren Menschen gegenüber hat sie die Kraft und Motivation geschöpft, um sich für einzelne Menschen und für das Gemeinwesen verbindlich und dauerhaft einzusetzen.»Pro Senectute weiterhin treu verbundenErika Ritz spricht von bereichernden Jahren und einer Art Lebensschule, die sie bei Pro Senectute genossen habe. Sie sei «mängmol todmüed is Bett gfalle», sagt sie lächelnd, und in der Zeit des Spendensammelns musste ihr Mann «oft wochenlang allein zu Abend essen», weil sie unterwegs gewesen sei. Gerade in den frühen Abendstunden treffe man die Leute halt am ehesten zu Hause an.Nach wie vor hat Pro Senectute für Erika Ritz einen hohen Stellenwert. Sie hat daher sehr gerne nicht nur ehrenamtlich viel geleistet, sondern auch beim Testament an «ihre» Organisation gedacht. Es ist ein grösserer Betrag, den Pro Senectute irgendwann sozusagen als letztes Geschenk ihrer langjährigen Ortsvertreterin erhalten wird.Zunächst geniesst sie aber mit dem Gatten ihre Zeit nach diesem schönen Motto: «Wir müssen zwar nichts mehr, können aber zum Glück noch viel.»