22.04.2021

Lüchinger ist ein Leader geworden

Gabriel Lüchinger verschwand als grosses Talent von der Bildfläche – und ist heute doch ein gestandener Profi.

Von Remo Zollinger
aktualisiert am 03.11.2022
Remo Zollinger«Nein, als Kopfballungeheuer bin ich nicht bekannt», sagt Gabriel Lüchinger lachend, auf sein Kopftor vom 11. April gegen Sion angesprochen. Der 1,72 cm kleine Lüchinger traf in der 75. Minute zum 1:0 und ebnete Vaduz den Weg zu einem 3:0, das im Abstiegskampf viel wert ist. Der flinke zentrale Mittelfeldspieler traf zuvor zweimal in dieser Saison: Einmal beim 2:0-Sieg in Sion, es war das 1:0 in der 73. Minute. Und einmal bei einer 1:2-Niederlage – wieder in Sion. Er glich in Minute 76 aus, ehe Vaduz noch das entscheidende Gegentor einfing. «Das muss ein Zufall sein», sagt Lüchinger nach drei Toren jeweils eine Viertelstunde vor Abpfiff gegen den gleichen Gegner.Das mag tatsächlich Zufall sein – aber es waren Tore, die sich direkt darauf auswirkten, dass Vaduz nach dem 1:1 gegen Basel vom Mittwoch sechs Runden vor Schluss sechs Punkte Vorsprung auf den Tabellenletzten aus dem Wallis hat (dieser hat jedoch am Donnerstag nach Redaktionsschluss noch in Genf gespielt). Mehr noch, der FCV ist in diesem Kalenderjahr hinter Serienmeister YB die zweitbeste Mannschaft. Er holte sechs Punkte mehr als der FC Basel und sogar zwölf mehr als der FC St. Gallen, der 2021 nach Punkten die schwächste Mannschaft der Liga ist.Es könnte am Samstag zum Familienduell kommenMorgen Samstag, 18.15 Uhr, gastiert Vaduz in St. Gallen. Es ist nicht nur das Duell zweier Teams mitten im Abstiegskampf, sondern auch ein familieninternes Duell. Lässt es die Situation zu, trifft Gabriel Lüchinger auf seinen Cousin Nicolas, der Grün-Weiss trägt. In einem Ligaspiel sind die beiden sich noch nie begegnet.Nicolas Lüchinger gab beim FCSG erst kürzlich sein gelungenes Comeback nach langer Verletzungszeit und zeigte, dass er für die Mannschaft wichtig sein kann. Er wird motiviert sein, wie sein Cousin auch: «Im Abstiegskampf ist man so konzentriert, dass es hoffentlich leichtfällt, das Duell mit Nicolas auszublenden», sagt Gabriel Lüchinger. Zumal es positionsbedingt wohl nicht zu allzu vielen direkten Duellen kommen wird. «Es stehen noch zehn andere Spieler pro Team auf dem Platz. Das wird kein Boxkampf, kein Eins-zu-eins-Duell.»Sagt er dies, lacht er, wie oft im langen Gespräch. Es ist eindeutig zu spüren: Gabriel Lüchinger ist beim FCV und damit im Profifussball angekommen. Er ist seit drei Jahren Teil eines Teams, das im Sommer 2020 überraschend die renommierten Grasshoppers hinter sich liess und in die Super League aufstieg. Lüchinger ist ein Leistungsträger; in der Position, die Mitspieler zu motivieren, wenn es ihnen mal nicht läuft. «Hat ein Spieler mal ein Tief, ist es wichtig, ihn aufzubauen, zu pushen. Nur gemeinsam können wir ein Spiel gewinnen», sagt Gabriel Lüchinger in den Worten eines Leaders.Ein frühes Profidebüt, gefolgt von RückschlägenDie letzten anderthalb Jahre des FCV zeichnen Gabriel Lüchingers Karriere nach. Vaduz zeigte erst einen beeindruckenden Lauf in der Challenge League, der zum Aufstieg führte. Es folgte eine längere Baisse, ehe das Team sich eine Liga höher etablierte und nun mit allen Gegnern mithält. Bei Lüchinger ist es ähnlich: Die Nachwuchszeit bei Montlingen, GC, St. Gallen und in Jugend-Nationalteams war eine Erfolgsgeschichte, den Durchbruch erreichte er jedoch noch nicht. Es waren viele Verletzungen, die ihn in seiner Entwicklung zurückbanden. Dann startete er nochmals durch, zuerst in Österreich und jetzt im Fürstentum Liechtenstein.Am 25. März 2012 gab Gabriel Lüchinger im Dress des FC St. Gallen bei einem Auswärtsspiel in Biel 19-jährig sein Profidebüt. Vieles schien vorgezeichnet, es kam aber anders. Nur die Verletzungen lässt der heute 28-Jährige als Begründung dafür, dass keine weiteren Einsätze folgten, aber nicht gelten. Einerseits habe der Verein damals nicht auf eigene Nachwuchskräfte gesetzt. Andererseits, fügt er an, «bin ich zu ungeduldig gewesen. Ich wollte zu viel und vernachlässigte es, weiter an mir zu arbeiten». Die Aussagen zeigen, wie er mental gereift ist. Später im Gespräch wird er sagen: «Beginnt man, die Fehler bei anderen und nicht bei sich selber zu suchen, vergeudet man viel zu viel Energie, die besser einzusetzen wäre.»Wenig später war Gabriel Lüchinger plötzlich wieder dort zu sehen, wo er aufgewachsen ist: Auf Rheintaler Fussballplätzen. Mit dem FC Rüthi nahm er, damals vereinslos, am Rebsteiner Pokalturnier teil, weil er sich nach einer Verletzung wieder herantasten wollte und sein Bruder Jérôme Lüchinger ihn ins Training eingeladen hatte. Nur noch 3. Liga zu spielen, sei nie eine konkrete Option gewesen, sagt er. Aussenstehende wussten das jedoch nicht. Sie waren erstaunt und sahen das Rheintaler Talent plötzlich im Dress eines Teams, das in der dritttiefsten Liga spielt. Eine Liga unter seinem Stammverein Montlingen, wo er als F-Junior unter Benno Tiziani das Fussballspielen erlernt hatte.«Zweitlehre» beim FC Balzers und in AltachWas nun folgte, war etwas wie die fussballerische Zweitlehre. Der damalige Balzers-Spielertrainer Mario Frick gab Lüchinger die Chance, im Leistungsfussball wieder Fuss zu fassen. «Er hat an mich geglaubt und mir gesagt, meine Karriere sei noch nicht vorbei, wenn ich Gas gäbe», sagt er. Der Kreis hat sich mittlerweile geschlossen: Mario Frick ist heute wieder Lüchingers Trainer. Die Chemie zwischen den beiden stimmt, Frick unterstützte Lüchinger 2015 auf einem steinigen Weg. «Ich machte die BMS, um zweigleisig planen zu können und einen Plan B zu haben, sollte es mit dem Fussball nicht klappen», sagt der Rheintaler. Die Karriere hing an einem seidenen Faden, dann wurde er von Altach entdeckt, das in Balzers eigentlich einen anderen Spieler beobachtet hatte.Es folgte ein Engagement bei Altachs Regionalligateam, Lüchinger traf in 26 Spielen 18-mal und kam auch bei den Profis zum Einsatz. Dann jedoch verliess Trainer Damir Canadi Vorarlberg, er folgte der Verlockung, das grosse Rapid Wien zu trainieren. Lüchinger fiel ein wenig zwischen Stuhl und Bank. Seine nächste Station war Ried, wo es nicht wie gewünscht lief, dann Rieds Ligakonkurrent Blau-Weiss Linz. Mit sechs Toren in 16 Spielen in der zweithöchsten Liga liess Lüchinger aufhorchen. «Der damalige Vaduz-Sportchef Bernt Haas rief mich an und überzeugte mich rasch, mich dem FCV anzuschliessen.» Dies auch, weil er so in gewohntem Umfeld Profifussball spielen konnte und Vaduz ein seriös geführter Verein ist, der heute viel mehr Wert auf Spieler aus der Region legt als früher.Seinen Durchbruch im Profifussball ortet Gabriel Lüchin-ger dabei, sich in Vaduz einen Stammplatz erarbeitet zu haben, was noch in der Challenge League war. «Äussere Wahrnehmung hat die Liga kaum, aber das Niveau ist hoch», sagt er, der jetzt auch in der Super League Stammspieler ist und diese Saison schon mehr als 2000 Einsatzminuten gesammelt hat. Die nächsten folgen wahrscheinlich heute Samstag in St. Gallen. «Ich werfe mich manchmal auch in einen Zweikampf, in dem der Ball schon verloren geglaubt ist», sagt er über seinen Spielstil. Auf die kriselnden St. Galler – unter ihnen der Rebsteiner Betim Fazliji – kommt mit Gabriel Lüchinger ein harter Brocken Arbeit zu.

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