24.11.2020

«Lex Glencore trifft auch Ostschweizer Unternehmen»

Last-minute-Einspruch im Rheintal: Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Ständerat Benedikt Würth warnten am Montag in Heerbrugg anhand der Industrieunternehmen SFS und Ernst Fischer AG vor den Konsequenzen der Konzernverantwortungsinitiative. Am 29. November stehe gerade auch für die Ostschweizer Wirtschaft viel auf dem Spiel.

Von Marcel Elsener
aktualisiert am 03.11.2022
Wie sind Ostschweizer Unternehmen konkret von der Konzernverantwortungsinitiative betroffen? Unter diesem Titel luden sechs Tage vor dem Abstimmungstermin die SFS Group AG, die IHK St. Gallen-Appenzell und der AGV Arbeitgeberverband Rheintal an den Hauptsitz des weltweit tätigen Rheintaler Unternehmens für mechanische Befestigungssysteme und Präzisionskomponenten ein.Die anschaulichen Beispiele der SFS sowie der von der Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr mitgeleiteten Stahl- und Metallbaufirma Ernst Fischer AG sollten die Ablehnung von Bundesrat und Parlamentsmehrheit begründen. Justizministerin Keller-Sutter, die seit Wochen vor der Initiative warnt, überliess das Wort weitgehend den Wirtschaftsvertretern. Schweizer Firmen hafteten heute schon für Schäden im Ausland, welche sie selber verursachten, sagte die Bundesrätin. Dass sie künftig auch für Schäden von Zulieferern einer Eisenerzmine in Brasilien oder Indien verantwortlich wären, sei eine «im internationalen Vergleich einzigartige Haftungsnorm». Deshalb plädiere der Bundesrat für den Gegenvorschlag, der bei einem Nein in Kraft tritt und der die Unternehmen verbindlich für Risikenberichte in die Pflicht nehme. Dabei halte man sich an die EU-Richtlinien, speziell bei den «besonders sensiblen» Themen Kinderarbeit und Konfliktmaterialien.«Kleinere Zulieferer können sich keinen Kontrollapparat leisten»SFS-CEO Jens Breu betonte die Bedeutung von Menschenrechten und Umweltschutz in Leitbild und Verhaltenskodex seiner Traditionsfirma. Man habe erheblich investiert, um hohe Umweltstandards durchzusetzen, beispielsweise bei neuerworbenen Betrieben in Indien oder Malaysia oder bei einem Galvanikbetrieb in der Türkei, wo SFS Schrauben fertigen lässt. «Weil der externe Zulieferer nicht bereit war, unsere Standards zu erfüllen, haben wir dies mit eigenen Spezialisten und Bauten ausgeführt.» Trotzdem werde die «US-Klageindustrie die Gelegenheit zu erpresserischen Klagen gerne nutzen». Angesichts von weitgehend autonomen Produktionswerken und Hunderten lokalen Zulieferern sei eine umfassende Kontrolle schwierig. Als Beispiel nannte Breu das wichtige Rohmaterial Kaltumformdraht, das man bei kleinen Familienbetrieben beschaffe, die ihrerseits bei grossen Stahlherstellern zukauften. «Für uns ein Dilemma», so Breu: «Die Drahtzieherei ist zu klein, um den erhöhten Kontroll- und Dokumentationsanforderungen selbstständig nachkommen zu können, und bei den grossen Stahlproduzenten prallen wir mit unseren Forderungen als Exoten ab.» Breu sagte weiter: «Die Rückverfolgung in der Wertschöpfungskette bis hin zur Eisenerzmine in Brasilien, Indien oder Australien bleibt uns klar verwehrt.»Kontraproduktiv wirke die Initiative für die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern und für den Wettbewerb; so müsste man in Indien mit dem Handicap antreten, indischem und schweizerischem Recht genügen zu müssen. «Unsere Wettbewerber wird dies freuen. In diesem harten Geschäft mit hohen Volumen zählt jeder Rappen millionenfach.»Als Mitinhaberin der Ernst Fischer AG unterstrich Diana Gutjahr die Haftungsrisiken für die Romanshorner Metallbaufirma, die auf 500 Lieferanten zurückgreife, die wiederum auf zig Sublieferanten angewiesen seien. «Dass wir die Lieferketten bis zum letzten Einzelteil rückverfolgen oder uns bestätigen lassen müssten, ist illusorisch und administrativ für einen KMU-Betrieb nicht machbar.» Das «Lieferkettengesetz» führe nebst hohen Regulierungskosten zu einem «Klagemarkt» und einer «schleichenden Amerikanisierung».«Sehr viele Schafe in der Ostschweiz betroffen»Benedikt Würth, Ständerat und ehemaliger Volkswirtschaftsdirektor des Kantons St. Gallen, warnte vor einem «Swiss Finish», also einem weitergehenden Gesetz in der Schweiz, wie es das Parlament bei den neuen Finanzmarktregulierungen abgelehnt hat. «Das geht auch in der Industrie nicht, erst recht nicht in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten.» Die als «Lex Glencore» verkaufte Initiative betreffe nicht nur die «schwarzen Schafe der Konzerne», sondern alle Schafe. Und davon gebe es gerade in der überdurchschnittlich geprägten Ostschweiz «sehr viele». Denn die grossen Unternehmen wären «gezwungen, die Haftungsrisiken vertraglich weitgehend auf die Kleinen abzuwälzen», sagte Würth. «Es ist daher naiv zu glauben, dass die Initiative keine Auswirkungen auf die KMU hat. Und KMU haben keine Rechtsabteilungen.»Wie viele Ostschweizer Firmen von der Initiative betroffen sind, liess Würth auf Nachfrage offen. Es sei eine Frage der im Parlament bereits diskutierten Schwellenwerte: Im Fall der möglichen Kriterien 20 Millionen Franken Bilanzsumme, 40 Millionen Umsatzerlös und 500 Vollzeitstellen, wovon zwei von drei erfüllt sein müssten, kämen laut dem CVP-Ständerat einige in Frage. SFS mit weltweit über 10'000 Mitarbeitenden und in beiden Fällen weit darüber liegenden Zahlen wäre so oder so betroffen, Gutjahrs Firma mit 80 Mitarbeitenden zumindest gemäss Stellenzahl nicht.

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