04.03.2021

Lernen, wie die Eltern sprechen

Annina Wasescha macht sich stark für den Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
Seit letztem Sommer unterrichtet Annina Wasescha ihre erste eigene Klasse an der Oberstufe Türggenau in Salez. Abgeschlossen hat die Hinterforsterin ihre Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen allerdings erst vor wenigen Wochen. Mit ihrer Masterarbeit traf die 25-Jährige ins Schwarze: Sie wurde vom Förderverein Sek I aus über 100 Arbeiten ausgewählt und gehört zu den drei besten des Jahrgangs. Annina Wasescha ist der Frage nachgegangen, wie es gelingt, fremdsprachige Kinder in der Ostschweiz zu motivieren, neben der obligatorischen Schule auch den Unterricht in ihrer Heimatsprache zu besuchen (siehe Kasten). Die Frage ist aktueller denn je: Der neue Lehrplan, der seit drei Jahren in Kraft ist, empfiehlt die Förderung der Erstsprache.  Annina Wasescha, weshalb ist es wichtig, die Muttersprache zu fördern, wo doch parallel darauf gepocht wird, fremdsprachigen Kindern möglichst rasch Deutsch beizubringen?Annina Wasescha: Es gibt Theorien, die belegen, dass Kinder, die ihre Muttersprache beherrschen, jede weitere Sprache viel leichter lernen. Es braucht aber Disziplin, in der Freizeit den Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) zu besuchen. Haben Sie herausgefunden, wie es gelingt, dass die Kinder am Ball bleiben? Schüler schätzen es, wenn sie im HSK viel mitbestimmen können und die Lehrpersonen aktuelle Themen aufgreifen, die sie in ihrer Lebenswelt ansprechen. Ein Beispiel wäre die Fussball-WM – erweitert man den Wortschatz in diesem Bereich, kann man ihn im Alltag auch tatsächlich anwenden. Diese Erkenntnisse konnte ich kürzlich auch HSK-Lehrpersonen an einer Weiterbildung vermitteln. Die grösste Herausforderung ist aber sicher, die Kinder überhaupt dazu zu bewegen, mit dem Unterricht zu beginnen. Da sind vor allem die Eltern gefordert.Inwiefern? Die Schülerinterviews haben ergeben, dass die meisten bei der Einschulung von ihren Eltern überredet wurden, den Unterricht zu besuchen. Es war also – zumindest zu Beginn – ein Zwang. Viele beschreiben aber, dass die eigene Motivation spätestens in der Oberstufe stärker wurde, weil gewisse Vorteile, die das Wissen über Sprache und Heimat bietet, überwogen haben.Welche Vorteile nannten die Befragten? Wenn die Jugendlichen in ihr  Herkunftsland reisen, können sie mit Verwandten reden und kennen die gängigen Bräuche. Auch in den sprachlichen Fächern an der Volksschule merken manche, dass ihnen das Lernen leichter fällt. Gerade Italiener, die den HSK besucht haben, erkennen rasch Parallelen in der Französisch-Lektion. Irgendwann merken die Schüler auch, dass die kulturelle Vielfalt in der Berufswelt gewinnbringend sein wird, weil zusätzliche Sprachen immer gut ankommen.Genügt es denn nicht, wenn ein Kind die Heimatsprache von den Eltern lernt? Eltern, die zwei Sprachen beherrschen, sprechen oft Deutsch in der Familie und verzichten auf den Gebrauch der Erstsprache. Dies aus Angst, die Deutschkenntnisse der Kinder negativ zu beeinflussen. Früher gab es tatsächlich die Empfehlung, zu Hause nur noch Deutsch zu sprechen. Heute rät selbst die Elternberatung, daheim die Erstsprache anzuwenden.Und doch gibt es für Kinder Deutsch-Förderkurse. Einerseits soll man also die Muttersprache beherrschen, andererseits schon im Kindergarten Deutsch lernen. Ist da der Druck nicht etwas gross?  Vielleicht empfinden das manche Schüler schon als anstrengend, wobei zu erwähnen ist, dass es im HSK keinen Prüfungsdruck gibt. Ausserdem sprechen die meisten ihre Heimatsprache doch schon relativ gut. Es geht im HSK eher darum, über die Alltagskommunikation hinaus zu wachsen, den Wortschatz zu vertiefen und schreiben zu lernen. Es gibt beispielsweise Schüler, die perfekt Russisch sprechen – aber die kyrillische Schrift nicht beherrschen. Das ist schade. Beschränken sich die Schüler im HSK vor allem auf Secondas und Secondos? Nein, inzwischen besucht teilweise bereits die dritte Generation den Unterricht. Das sind Kinder von Eltern, die selbst perfekt Deutsch sprechen. Bei Italienern, Tamilen und Griechen ist das oft der Fall. Das Bedürfnis, mehr über Sprache und Kultur zu erfahren, bleibt also über die Generationen bestehen.Versuchen Sie selbst in ihrer Klasse, Schüler für den HSK zu motivieren? Nicht direkt. Das Problem: In der Oberstufe ist es schon etwas spät für den Kursbeginn. Ideal wäre, wenn die Kinder den Unterricht ab dem Kindergarten oder zumindest ab der ersten Klasse besuchen. Ich versuche in meinen Lektionen aber bewusst, immer wieder multikulturelle Synergien zu nutzen und lasse Schülerinnen und Schüler über ihre Kultur erzählen und Sprachvergleiche anstellen. Nicht vergessen, woher man kommtBotschaften oder Konsulate verschiedener Länder sowie private Trägerschaften organisieren und finanzieren in der Schweiz Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) für Kinder und Jugendliche. Im Kanton St. Gallen sind 17 Sprachen vertreten, im Wahlkreis Rheintal sind es sechs: Italienisch, Albanisch, Kroatisch, Tamilisch, Türkisch und Spanisch. Die öffentliche Volksschule informiert die Eltern über die Angebote, Standorte und Inhalte. Im freiwilligen Unterricht, der oftmals gegen Abend oder am Mittwochnachmittag stattfindet, erweitern mehrsprachige Kinder und Jugendliche die Kompetenzen in ihrer Heimatsprache. Zudem lernen sie, was ihre Herkunftskultur ausmacht. (seh)Das Amt für Volksschule stellt Informationen und einen Online-Stundenplan für alle anerkannten HSK-Trägerschaften bereit: www.hsk-sg.ch

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