04.03.2020

Leidenszeit dort beendet, wo sie anfing

Skicrosser Marc Bischofberger fuhr in Russland aus dem Nichts zu seinem vierten Weltcupsieg – rechtzeitig vor dem Saisonfinal im Wallis.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Yves Solenthaler36, 36, 36, 29, 23, 8, 23, 28, 33 – die Weltcup-Platzierungen von Marc Bischofberger vor dem Sieg in Sunny Valley entsprachen nicht den Erwartungen des Vize-Olympiasiegers. Während Schweizer Teamkollegen regelmässig aufs Podest fuhren, bangte der Oberegger um seinen Nationalmannschaftsstatus. Ausserhalb der besten 30 des Gesamt-Weltcups liegend, drohte dem 29-Jährigen gar die Verbannung ins B-Kader.Der weit entfernte Skiort im Ural gehörte bisher nicht zu Bischofbergers Lieblingsorten: Hier zog er sich vor zwei Jahren die Kreuzbandverletzung zu, die kurz nach dem olympischen Triumph eine sportliche Zäsur bedeutete.Saison-Rekordkulisse beim Rennen in Sunny Valley«Ich dachte gar nicht mehr daran, dass ich mich in Sunny Valley verletzt hatte», sagt Bischofberger. Erst als ihn seine Mutter darauf ansprach, habe er erkannt, dass ihm die Retourkutsche geglückt sei. Marc Bischofberger hat seine Leidenszeit dort beendet, wo sie angefangen hatte. Das Rennen in Russland ist, was kaum bekannt ist, das bestbesuchte der ganzen Saison: «6000 bis 7000 Zuschauer waren am Rennen, vor so vielen Zuschauern zu gewinnen, ist besonders schön.»Marc Bischofberger hatte die lange Pause vor Russland genutzt, um gedanklich anders an die Aufgaben heranzugehen. Er schummelte sich zum Gefühl, nichts zu verlieren zu haben. Das stimmte zwar nicht ganz – aus der Nationalmannschaft zu fliegen, wäre ein spürbarer Verlust gewesen. Aber darauf kommt’s nicht an. Sondern darauf, ob der Kniff nützte.Bischofbergers Kollegen fuhren während der Weltcup- Zwangspause Europacuprennen in Grasgehren (Deutschland), er entschied sich für einen privaten Anlass im Engadin. «Meine Freundin erinnerte mich daran, dass ich schon vor meiner Olympiamedaille im Engadin gewesen bin.»Ein Sieg nach dem ersten Quali-Platz gelingt seltenIn Sunny Valley, sagt er, habe er von Anfang an ein besseres Gefühl gehabt als in den bisherigen Rennen. In der Qualifikation stellte Bischofberger zum ersten Mal im 81. Rennen die Bestzeit auf: «Ich hatte Glück mit dem Wetter, aber es war auch eine sehr gute Fahrt.» Die beste Startposition war im Rennen ein Vorteil. Aber unter den Skicrossern gilt der Fluch, dass der Qualisieger das Rennen nicht gewinnt. Tatsächlich gelingt dieses Double selten – aber nicht nie: Der Kanadier Kevin Drury gewann zum Saisonauftakt die Quali in Val Thorens und dann auch das erste Rennen: «Drury sagte mir, dass ich nach Jean- Frédéric Chapuis und ihm erst der dritte Fahrer sei, dem das gelang.»Vor dem Qualilauf vom Samstag fuhr Bischofberger im Sessellift mit Arnaud Bovolenta zum Start. Die Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele 2014 und 2018. Beide hatten eine ähnlich schlechte Saison, brauchten unbedingt ein Topresultat. Es schneite. «Wenn wir am Start stehen, wird das Wetter sicher gut», sagte der Franzose. Und tatsächlich: Den zwei Pechvögeln des bisherigen Winters lachte diesmal das Glück. Am Sonntag gewann Bischofberger vor Drury und Bovolenta.Für den Oberegger war es der vierte Weltcupsieg, der erste seit dem doppelten Erfolg vom Dezember 2017 in Innichen. Mühe hatte er nur im ersten Heat. Vor der Ziellinie beachtete er den Russen Maxim Vikhrov nicht, was ihm beinahe das Weiterkommen kostete. Nationaltrainer Ralph Pfäffli machte deutlich, dass er gestreckt über die Ziellinie fahren soll.In den drei folgenden Heats hielt Bischofberger die Konzentration bis zum letzten Millimeter aufrecht. Im Final setzte er sich gegen Weltcup-Dominator Drury durch, obschon er eine halbe Sekunde zurückgelegen war. Bischofberger kam nach zwei Kurven aber wieder in den Windschatten des Kanadiers. «Schon im Halbfinal war ich auf der Geraden hinter Drury, kam aber nicht an ihm vorbei. Deshalb blieb ich diesmal so lange wie möglich im Windschatten.» Den letzten Sprung erwischte der Appenzeller perfekt – die Taktik ging auf.Im Final bis zuletzt im Windschatten gebliebenMit einem Rennen hat Bischofberger die Saison gerettet. Dank dem Exploit in Sunny Valley kann Marc Bischofberger am 14. März in Veysonnaz den Weltcup-Final bestreiten, an dem die Top 32 der Gesamtwertung starten – der Gesamtweltcupsieger 2017/18 verbesserte sich mit dem Sieg vom 37. auf den 17. Platz.Am nächsten Samstag stehen zuerst noch die Schweizer Meisterschaften in Crans-Montana bevor, ein prestigeträchtiger Wettkampf für die vielen starken Schweizer Skicrosser. Marc Bischofberger gewann die Goldmedaille bisher einmal, das ist schon fünf Jahre her. Vor den nationalen Meisterschaften finden ebenfalls in Crans-Montana am Donnerstag und Freitag Europacup-Rennen statt, die mit Schweizern, Franzosen und Kanadiern wohl nahezu Weltcupbesetzung aufweisen.

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