Von Riona Wüst fiel eine grosse Last ab, als sie noch am Bewerbungsgespräch die Zusage erhielt. Während der gesamten Sommerferien suchte sie eine Lehrstelle, ihre Freundinnen hatten da bereits eine Zusage erhalten. Riona fragte sich manchmal, ob sie noch eine Lehrstelle finden würde, auch wegen einiger Absagen. Heute sagt sie: «Ich stand schon recht unter Druck. In der Schule und manchmal auch zu Hause hiess es, dass ich jetzt Gas geben muss.» Nächsten Sommer wird Riona am Spital Altstätten ihre Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit beginnen.Der 14-jährige Tim Finger empfand besonders den Anfang der Lehrstellensuche als schwierig. Er sagt: «Da weisst du noch nicht so viel übers Bewerben und kriegst auch viele Absagen.» Auch er wurde mittlerweile fündig und startet nächsten Sommer in die Ausbildung zum Elektroniker bei der IMT in Buchs. Krisen belasten bei Suche zusätzlichDruck oder Schwierigkeiten begegnen bei der Lehrstellensuche nicht nur Riona Wüst und Tim Finger. Gemäss Pro-Juventute-Sprecherin Lulzana Musliu sind Jugendliche seit einigen Jahren höherem psychischen Druck ausgesetzt – auch bei der Lehrstellensuche. Sie sagt: «Die psychische Belastung ist generell gestiegen. Zuerst Corona, nun Ukraine-Krieg, die Krisen überlappen sich und treffen Jugendliche in einer vulnerablen Phase. Das kann eine Lehrstellensuche zusätzlich strapazierend machen.»Zudem seien Jugendliche immer jünger, wenn sie sich Sorgen rund um ihre berufliche oder schulische Zukunft machen. Der Anteil der Anfragen an die Pro Juventute von Jugendlichen mit Zukunftsängsten stieg im ersten Halbjahr um rund 30 Prozent. Vielfach geht es darum, dass Jugendliche um ihre Zukunft und ihren Platz in der Welt besorgt sind.Das Warten auf die Prüfungsresultate Die meisten Lehrstellen werden gemäss dem St. Galler Bildungsdepartement zwischen den Sommer- und Herbstferien besetzt. Gut die Hälfte der rund 40 Altstätter Schülerinnen und Schüler im dritten Oberstufenjahr hat Stand Mitte September eine Lehrstelle gefunden. Damit befinde man sich im Fahrplan, sagt Oberstufenlehrer Christian Balmer. Die weiteren Schülerinnen und Schüler sind noch auf der Suche oder warten auf die Resultate einer Mittelschulprüfung. So auch der 15-jährige Luca Merkli. Er hat sich an der FMS-Aufnahmeprüfung versucht, weil er später im pädagogischen Bereich arbeiten möchte. Bei einem Misserfolg würde er eine Lehre als Pflege- oder Hotelfachmann anpeilen. «Ich will in jedem Fall einen Job, in dem ich mit Menschen zu tun habe», sagt er.Bei Leonie Zünd ging die Lehrstellensuche ziemlich fix: Bewerben, schnuppern im Ärztehaus Widnau, Zusage für die Lehre zur Medizinischen Praxisassistentin. Gutes Zeugnis für die Oberstufe AltstättenWie Tim und Riona findet auch Leonie, dass sie punkto Lehrstellensuche von der Schule gut unterstützt wurde: «Wir konnten Bewerbungsunterlagen überprüfen lassen und haben Vorstellungsgespräche geübt.» Nicht nur die Hilfe durch die Lehrpersonen wird von den Schülerinnen gelobt: Die 15-jährige Amra Jusufi und ihre Freundin Leonita Krstic schätzen zudem die Angebote von «Chance Industrie Rheintal» und der Ostschweizer Bildungsausstellung (OBA).«Dadurch konnten wir viele Firmen anschauen», sagt Amra, die zum Zeitpunkt des Gesprächs noch auf die Antwort eines Lehrbetriebs wartete. Sie möchte kommenden Sommer in eine KV-Lehre einsteigen. Wie die beiden auf den nächsten Sommer blicken? «Angst spüre ich keine, mehr etwas Unsicherheit. Doch mit der Zeit wird sie verfliegen», sagt Leontina. Man müsse jedenfalls bereit sein, Neues zu lernen. Und Amra ergänzt: «Wir waren jetzt neun Jahre in der Schule und im Sommer geht das Arbeitsleben los. Davor habe ich Respekt.»[caption_left: AGV-Präsident Klaus Brammertz: «Die begehrtesten Lehrstellen sind im Frühling weg.» Bild: pd]Nachgefragt: «Manche vergeben Lehrstellen zu früh»Die Arbeitsgruppe Schule und Wirtschaft «SchuWi» des AGV Arbeitgeberverband Rheintal setzt sich dafür ein, den Bewerbungsprozess bei der Lehrstellensuche zu entschleunigen: Lehrstellen sollen später ausgeschrieben und vergeben werden. Dies, um dem Fachkräftemangel in bestimmten Branchen zu begegnen. Trotz dieser Bemühungen bleibe die Lage für manche Arbeitgeber schwierig, sagt AGV-Präsident Klaus Brammertz.Gemäss dem St. Galler Bildungsdepartement werden die meisten Lehrstellen zwischen Sommer- und Herbstferien vergeben. Machen Sie die gleiche Erfahrung?Klaus Brammertz: Das ist auch bei uns so. Aber ich sage Ihnen, die begehrtesten Lehrstellen sind im Frühling weg. Auch, weil Eltern Jugendliche unter Druck setzen, in einer «Prestigbranche» eine Stelle zu finden. Und leider halten sich einige Betriebe nicht an unsere Vergabefrist für Lehrstellen ab 1. September. Oft sind dies Banken und Versicherungen. Eine frühe Lehrstellenvergabe erschwert die Suche nach Lernenden letztlich für andere Betriebe.Welche sind hier betroffen?
In der Gastronomie oder im Pflegebereich finden wir praktisch keine Leute mehr. Wenn die Jugendlichen bereits eine Stelle haben, gibt es für sie keinen Grund mehr, sich mit Lehrstellen in diesen Branchen auseinanderzusetzen. Es gibt weitere Gründe, die gegen eine frühe Vergabe von Lehrstellen sprechen. Und die wären?
Nach einer frühen Vertragsunterschrift gibt es für die Schülerinnen und Schüler wenig Anreize, sich im letzten Schuljahr anzustrengen. Bei einer zu schnellen Vergabe kann es ausserdem sein, dass ein Schüler oder eine Schülerin in einem Betrieb oder in einer Branche beginnt, die ihm oder ihr eigentlich nicht gefällt. Das kann dann zu Problemen oder zur Auflösung des Lehrverhältnisses führen. Das wollen wir verhindern.Letztes Jahr durften Betriebe schon ab 1. April auf der Plattform «berufsberatung.ch» ausschreiben. Wie hat dies die Bestrebungen der «SchuWi» beeinflusst?
Das hat uns natürlich nicht geholfen. Es wurden und werden viele Lehrstellen zu früh vergeben. Der psychische Druck auf die Jugendlichen nimmt durch die Krisen unserer Zeit stärker zu. Gemäss Pro Juventute stehen Jugendliche dadurch auch bei der Lehrstellensuche mehr unter Druck. Merken Sie davon etwas?
Nein. Wir haben nach wie vor einen Fachkräftemangel. Es hat mehr offene Lehrstellen als es Bewerberinnen und Bewerber gibt. Der Druck, überhaupt eine Lehrstelle zu finden, ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken.