Handschellen und Fussfessel musste der 33-Jährige bei der Gerichtsverhandlung anbehalten. Die Anklageschrift verrät, weshalb. Der junge IV-Rentner mit langer Drogenkarriere «verwüstete» ein Haus, schlug auf den Bewohner ein, bedrohte vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer mit einem Eishockeystock, fiel über ein Raubopfer her. Zudem beschimpfte und bespuckte er wiederholt Polizisten, schlug mit dem Kopf die Heckscheibe eines Zellenwagens ein, drohte Polizeibeamten «Ich bringe euch um, ich mache euch kalt, ihr Dreckwichser», spuckte einer Buschauffeurin ins Gesicht, ging ihr nach, sagte zu ihr: «Du Bitch, ich schlage dir gleich den Kaffee ins Gesicht.»Die Zahl der Delikte in den Jahren 2017 bis 2020 übersteigt ein Dutzend. Zuvor war der Angeklagte seit dem Jahr 2005, inklusive einer Jugendstrafe, 18-mal per Strafbefehl oder Gerichtsbeschluss verurteilt worden.«I cha mi a alls nöd erinnere»Vor dem Kreisgericht Rheintal in Altstätten lautete die erste Äusserung des Angeklagten zu den Taten so: «Trurig, i cha mi a alls nöd erinnere. A gar nünt.» Er sei mit Drogen vollgepumpt gewesen sei, wobei er ausser Alkohol eine ganze Reihe von illegalen Substanzen verwendet habe. Er gab aber zu, dass er sich vorstellen könne, die ihm vorgeworfenen Taten begangen zu haben. Allerdings glaubt er nicht, Polizisten gedroht zu haben, er werde sie umbringen.Lügt somit die Polizei? Er habe «viel erlebt im Leben», Polizisten seien auch nur Menschen, doch als Unterstellung wollte er dies nicht verstanden wissen.In ein Haus gestürmt und es verwüstetDer Verteidiger hielt für ein paar der Vorwürfe einen Freispruch für angebracht. Zum Beispiel für einen gravierenden Vorfall am 2. Dezember 2017 im mittleren Rheintal. Am Abend jenes Tages stürmte der Mann in das Haus von Bekannten, die ihm Geld geschuldet hätten. Er schrie den Besitzer an, meinte, er werde ihn umbringen. «Er traktierte ihn mit Schlägen», steht in der Anklageschrift, was einen Augenhöhlenbruch, Platzwunden im Gesicht und Prellungen zur Folge hatte. (Die Tochter meint sogar, dass innere Verletzungen den späteren Tod des Vaters begünstigt hätten.)Der Eindringling trug sodann einige elektronische Geräte ins Freie und wollte sie in das wartende Taxi verladen, mit dem er gekommen war. Als der Fahrer die Mitnahme verweigerte, warf der Mann die Sachen in den nahen Bach. Ein Portemonnaie, eine Bankkarte, einen Goldring sowie eine Halskette nahm er mit, ebenso den Eishockeystock, mit dem er kurz darauf Verkehrsteilnehmer bedrohte. Die Staatsanwaltschaft hält diese Taten (wie das Gericht) aufgrund von Spuren und mehreren Aussagen für erwiesen, der Verteidiger des Angeklagten nicht.Persönlichkeitsstörung wurde bestrittenEinigkeit herrscht darin, dass wegen des starken Alkohol- und Drogenkonsums von einer verminderten Schuldfähigkeit auszugehen ist. Hingegen widersprachen der Angeklagte und sein Verteidiger dem forensisch-psychiatrischen Gutachten; sie wollen von einer Persönlichkeitsstörung nichts wissen.Obschon der Täter seit bald eineinhalb Jahren kein Heroin und kein Methadon mehr nimmt, ist er nach Darstellung der Staatsanwaltschaft – entgegen der eigenen Ansicht des Mannes – noch lange nicht clean. Er habe lediglich «die Sucht verlagert», die Prognose sei sehr schlecht, meinte die Staatsanwältin vor Gericht. Sie forderte eine Freiheitsstrafe von 19 Monaten, eine Geldstrafe von 3600 Franken sowie eine Busse von 800 Franken. Die anzuordnende stationäre Therapie sei mit einer stationären Suchttherapie zu verbinden.Gericht urteilte strenger als verlangtDer Verteidiger sprach sich für maximal 10 Monate aus. Eine stationäre Therapie bezeichnete er als unverhältnismässig und unnötig; sein Mandant habe alle Straftaten in einem Rauschzustand begangen – nicht wegen einer Persönlichkeitsstörung. Eine ambulante Suchtbehandlung genüge. Die Staatsanwältin erinnerte daran, dass über sechzig Behandlungen in stationären Einrichtungen «keine erkennbare Besserung» gebracht hätten. Zweimal fiel der Angeklagte wegen Drogen schon ins Koma. Das Gericht war strenger als die Staatsanwaltschaft und verurteilte den Angeklagten zu zwei Jahren unbedingt, ordnete allerdings die beantragte stationäre Therapie in Kombination mit einer Suchtbehandlung an. Dazu kommen eine Geldstrafe von 1000 Franken, eine Busse von 900 Franken und Verfahrenskosten von rund 61000 Franken.Die «andere Seite des Lebens» muss wartenDer Angeklagte hatte im Laufe der Verhandlung gemeint, er sei jetzt 33 und wolle auch «die andere Seite des Lebens» noch sehen. Was er bisher kennenlernte, fasste er so zusammen: 1. und 2. Klasse in einem Heim, danach bei den Adoptiveltern, zwei weitere Schulwechsel, Oberstufe auf dem Jugendschiff auf dem Atlantik, Arbeitserziehungsanstalt und Anlehre als Schlosser.Seit fünf Jahren hat er eine IV-Rente «wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, auch wegen der Sucht, weil es für mich einfach schwierig war, alles so zu meistern, wie es für alle anderen leicht wäre». Als Kind sei er missbraucht und – wie auch auf dem Jugendschiff – geschlagen worden, und mit Drogen habe er schon früh begonnen.
Er bereue seine Taten sehr, erklärte er, er schäme sich. Er denkt an eine Zukunft mit der Frau, die seit drei Jahren seine Freundin ist, spielt mit dem Gedanken an eine eigene Familie, möchte stolz sein können auf sich selbst und in der Gesellschaft anerkannt sein.Bei der Urteilsverkündung fiel er dem Gerichtspräsidenten sogleich ins Wort. Er schüttelte mehrmals den Kopf, begehrte auf, murrte und sagte: «I bi scho z’lang iigschpert.» Er musste sich sagen lassen, dass er in erster Linie ein Persönlichkeitsproblem habe und es ohne Therapie nur eine Frage der Zeit sei, bis er in alte Muster zurückfalle.
Der Gerichtspräsident bemerkte: «Das werden Sie jetzt vielleicht nicht verstehen, aber das Urteil ist auch eine Chance, vielleicht die letzte.» Zu verstehen schien der Angeklagte es tatsächlich nicht.