15.12.2020

Kurzenberg, Modell der Zukunft?

Die Ausserrhoder Regierung schlägt Grossgemeinden vor. Im Vorderland haben sie einen historischen Vorläufer.

Von Peter Eggenberger
aktualisiert am 03.11.2022
Ist eine Fusion der Ausserrhoder Gemeinden zu grösseren Einheiten wünschbar und nötig? Darüber wird derzeit diskutiert. Bei dieser Gelegenheit sei an die untergegangene Grossgemeinde Kurzenberg erinnert, die Wolfhalden, Heiden und Lutzenberg/Wienacht-Tobel umfasste und Modell für die Zukunft sein könnte.«Kurzenberg? Das ist doch der Berg, auf dem die kurz gewachsenen Leute leben …» Lustig definiert, aber nicht ganz zutreffend. Aus dem lateinisch gefärbten Curtimberg wurde Kurzenberg, und im Gegensatz zur Erhebung «Kurzenberg» in der Nähe von Herisau wird im Vorderland mit diesem Namen kein Höhenzug, sondern die Gegend oberhalb von Thal bezeichnet.Der Kurzenberg wurde im Osten vom Eichenbach (Grenzgewässer zwischen Wolfhalden und Walzenhausen) und im Westen vom Krennenbach (das Bächlein trennt Wienacht von Grub SG) begrenzt. Im Bereich Bischofsberg ob Heiden verlief die südliche Grenzlinie zu Oberegg.Innerhalb dieser Marken liegt das Gebiet der drei Gemeinden Wolfhalden, Heiden und Lutzenberg. Die Nordgrenze war offen, gehörten doch die Leute vom Kurzenberg kirchlich zu Thal, wo bereits ums Jahr 700 ein erstes Gotteshaus entstanden war. Die Kirche war überaus wichtig und hatte damals einen ganz anderen Stellenwert als heute. Sie und die Pfarrherren als deren Vertreter dominierten fast alle Lebensbereiche, und die Mitglieder der Kirchenvorsteherschaft bildeten auch die politische Behörde.Politisch zur Rhode Trogen gehörigDen Appenzeller Freiheitskriegen Anfang des 15. Jahrhunderts folgte 1445 das Gefecht an der Wolfshalden. Mit den Appenzellern wehrten sich auch die Kurzenberger an der Letzi (Schutzwall) unterhalb von Wolfhalden erfolgreich gegen die von Thal her anrückenden habsburgischen Truppen, was die politische Zugehörigkeit des Kurzenbergs zur Rhode Trogen festigte. Als Folge der zunehmend als sehr weit und umständlich empfundenen Wege zu den Gottesdiensten wuchs der Wunsch nach kirchlicher Unabhängigkeit. Kam dazu, dass das Bevölkerungswachstum am Berg mehr und mehr zu engen Platzverhältnissen in der Thaler Kirche führte.Wo soll die Kirche stehen?Nach der Landteilung von 1597 wollten die evangelisch gewordenen Kurzenberger mit dem Bau einer eigenen Kirche als sichtbarem Wahrzeichen der Eigenständigkeit nicht mehr länger warten. Als Standorte kamen mit Wolfhalden das alte Zentrum des Kurzenbergs sowie das bevölkerungsmässig stark gewachsene Heiden in Frage. Nur wurde man sich punkto Baugrund nicht einig. Prominente politische Vertreter beider Lager setzten sich bei der Ausserrhoder Obrigkeit für ihre Standorte ein. Nachdem Heiden am 18. März 1651 die Baubewilligung erhalten hatte, liess Wolfhalden nicht locker. In der Folge erteilte der am 27. Januar 1652 in Teufen tagende Grosse Rat auch Wolfhalden die Bewilligung zum Bau einer Kirche.Mit diesen Entscheiden nahm die Auflösung der Grossgemeinde Kurzenberg ihren Anfang. Am 23. März 1652 erfolgte die Grundsteinlegung in Heiden, und eine Woche später – am 30. März 1652 – war Baubeginn in Wolfhalden. Im Rahmen eines eigentlichen Wettstreits wurden nun die beiden Gotteshäuser hochgezogen, und bereits am 12. September 1652 erfolgte in Heiden die Einweihung. Wolfhalden folgte wiederum eine Woche später, womit das Ende der Gemeinde Kurzenberg und zugleich die kirchliche Trennung von Thal besiegelt waren. Die endgültige, auch politisch verbindliche Grenzziehung erfolgte 1666/67.Schlaue LutzenbergerSchlau waren die Lutzenberger. Statt sich mit einem Kirchenbau hohe Kosten aufzuhalsen, hielten sie der Thaler Mutterkirche die Treue. Daran hat sich bis heute nichts geändert, Lutzenberg fährt mit dieser Lösung gut. Trotz eigener Kirchen am Kurzenberg blieben die wirtschaftlichen Beziehungen zu Thal eng, zumal hier 1830 mit der Weberei Dufour (später Schweizerische Seidengazefabrik, heute Sefar) ein Unternehmen von Weltruf gegründet wurde, das viele Heimweber am Kurzenberg beschäftigte.Quelle: «Geschichte der Gemeinde Kurzenberg», von Ernst Züst, erhältlich bei den Verwaltungen der Kurzenberger Gemeinden. Dreiteiliger GegenvorschlagDer regierungsrätliche Gegenvorschlag zur Initiative «Starke Ausserrhoder Gemeinden» sieht drei Varianten vor. Die Regierung favorisiert die radikalste Lösung, die aus den 20 Gemeinden vier machen würde. Neben Herisau wären dies Vorderland, Mittelland und Hinterland. Die zweite Variante strebt eine mittlere Reduktion an: Die Anzahl soll auf 4 bis 16 reduziert werden. Die dritte Lösung sieht die Streichung der Gemeindenamen aus der Verfassung vor und nimmt damit das Hauptanliegen der Initiative auf.

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