18.06.2020

Kurioses am Strassenrand

Werden Bäume aus der Allee zwischen Oberriet und Altstätten gefällt, müssen sie ersetzt werden. Und doch darf man das nicht.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
«Seltsam, wie die da die Bäume geköpft haben …», mag man sich wundern, wenn man durch die Birkenallee entlang der Kantonsstrasse zwischen Oberriet und Altstätten fährt. Eine Nachfrage beim Strassenkreisinspektorat ergibt: Bei den etwa 20 Bäumen, die auf rund zwei Meter Höhe abgesägt wurden, war die Standfestigkeit gegenüber Sturmböen nicht mehr gegeben. Die Bäume entlang den Kantonsstrassen werden vom im Gebiet zuständigen Förster im Auftrag des Strassenkreisinspektorats regelmässig beurteilt, im Fall eines wie hier älteren Baumbestands jährlich, erklärt Strassenkreisinspektor Urs Kurath. Es ist auch der Förster, der entscheidet, ob es genügt, lediglich einzelne Äste aus der Krone zu sägen oder ob der Baum gefällt werden muss. Im Fall der vor ein paar Wochen angezeichneten und nun abgesägten Bäume genügte das Aussägen morscher Äste nicht mehr.Der Mindestabstand beträgt 2,5 Meter – besser wären 6Dass die Bäume allerdings auf zwei Metern Höhe abgesägt wurden, hat nicht der Förster angeordnet, sondern das Strassenkreisinspektorat. Und zwar, weil die Allee in den Schutzverordnungen sowohl Altstättens als auch Oberriets verzeichnet ist. Werde nun ein Baum daraus gefällt, müsste an derselben Stelle ein neuer Baum als Ersatz gepflanzt werden, erklärt Kurath. Dies darf das Strassenkreisinspektorat aber nicht, weil die Alleebäume kaum einen Meter vom Strassenrand entfernt stehen und damit der im Strassengesetz und in den Richtlinien des Kantons definierte Sicherheitsabstand zur Strasse von vornherein nicht eingehalten werden kann: Er beträgt hier eigentlich 2,5 Meter zur Strassenparzellengrenze.Urs Kurath weist daraufhin, dass die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) für eine Strasse wie diese, wo bis 80 km/h schnell gefahren werden darf, sogar einen Abstand von sechs Metern empfiehlt. Da wäre eine Allee sinnlos, sie verlöre ihren Charakter komplett, ist Kurath überzeugt.Deshalb kam es, wie es kam: Solange die Stämme stehen bleiben, wenn auch ohne Krone, müssen die Bäume nicht ersetzt werden, hat sich der Strassenkreisinspektor gedacht. Er hofft nun, im Gespräch mit der Gemeinde Oberriet und der Stadt Altstätten eine Lösung zu finden. Und zwar möglichst bald. «Wir sind uns bewusst, dass das so kein schönes Bild ist», sagt er. Und die Gefahr aus dem nicht eingehaltenen Sicherheitsabstand bestehe bei den hoch abgesägten Bäumen weiterhin. Details zur Lösung, die ihm vorschwebt, nennt Kurath vorderhand nicht. Andernorts, beispielsweise für die Allee zwischen Sargans und Bad Ragaz, läuft es aber auf eine Ersatzpflanzung an einer anderen Strasse hinaus.Das Dilemma, in dem das Strassenkreisinspektorat steht, spiegelt die einander diametral entgegenstehenden Interessen, wenn es um Alleen geht. Crashtests von Unfallforschern in Wildhaus im Jahr 2001 haben gezeigt, dass bereits ein seitlicher Aufprall an einen Baum tödlich enden kann und das schon bei einer Geschwindigkeit von weniger als 30 km/h. Und die BfU hat 2011 aufgrund der Unfallstatistik empfohlen, Bäume zu fällen, wo sie zu nahe an der Strasse stehen. Demgegenüber setzen sich die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und der Fonds Landschaft Schweiz für den Erhalt und die Neuanlegung von Alleen als Teil der Kulturlandschaft ein.Im Fall der Kantonsstrasse zwischen Altstätten und Buchs kommt noch dazu: Sie ist im Bundesinventar historischer Verkehrswege aufgeführt und zwar mit nationaler Bedeutung. Die Alleen entlang dieser Strasse werden als «eindrücklich» und «landschaftsprägend» beschrieben.Heute fahren keine Ochsenkarren mehrDer ursprüngliche Zweck der Bepflanzung entlang der Strasse ist laut Strassenkreisinspektor Kurath aber längst überholt: Die Bäume sollten den Wasserhaushalt im Naturstrassenkörper ausgleichen und den Pferdefuhrwerken und Ochsenkarren Schatten spenden.

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