17.03.2022

Künstlerin Margit Bartl-Frank: «Ich klage nicht an, ich stelle fest»

Margit Bartl-Frank hat ein Fotoprojekt mit migrierten Menschen lanciert. Die Gruppe zeigt die Bilder im Nefenfeld.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 02.11.2022
Die Grenze zwischen dem St. Galler und dem Vorarlberger Rheintal ist Margit Bartl-Frank seit Kindertagen vertraut. Sie wuchs in Feldkirch auf und lebt in Au. Folglich quert sie den Rhein regelmässig.Als Künstlerin befasst sich Margit Bartl immer wieder mit Geschichten und Biografien, die mit dieser Trennungslinie verbunden sind. Zum Beispiel erinnerte sie im Jahr 2018 an die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten in Österreich. Sie entnahm Gesprächen, die sie mit Zeitzeugen geführt hatte, Kurztexte und sprayte sie auf den Boden in der Nähe des Gasthauses am Rohr. Noch heute befällt sie an diesem Ort ein beklemmendes Gefühl. Sie versucht, sich in die Menschen hinein zu versetzen, die seinerzeit auf der Flucht waren.Mit Fotos kommunizieren, wo die Sprache ausbleibtIn ihrem Wohnhaus hat Margit Bartl ein Dachatelier eingerichtet. Auf dem grossen Tisch im lichtdurchfluteten Raum liegen etliche Fotografien. Aufgenommen haben sie Menschen, die in der Wohnanlage Nefenfeld in Widnau leben. Sie verkörpern Schicksale, die sich im Rheintal abspielten. Margit Bartl möchte sie in Verbindung mit anderen geflüchteten Menschen bringen. «Es bereitet mir Mühe, wenn Ungerechtigkeit geschieht», sagt sie. Dann wird sie künstlerisch aktiv. «Ich klage nicht an. Ich recherchiere, stelle fest und ermögliche es allen, sich eine eigene Meinung zu bilden.»Geflüchtete, Migranten, Migrantinnen und Einheimische befassten sich in einem mehrteiligen Workshop mit Geschichten über das Ankommen sowie die Herausforderungen und das Zusammenleben in der Schweiz. Ihren Gedanken und Gefühlen gaben sie mittels Handyfotos Ausdruck. Das Ergebnis wird in einer Ausstellung zu sehen sein. Vernissage ist am Freitag, 25. März, in der Wohnanlage Nefenfeld.«Ich möchte dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und Verständnis füreinander zu wecken», sagt Margit Bartl. In Zusammenarbeit mit der Fachstelle Integration des Vereins St. Galler Rheintal, Barbara Sennhauser aus Au und Sam de Keijzer aus Berneck erarbeitete sie das Kunstprojekt. Es besteht aus dem Workshop, kulturellem Austausch, Ausflügen und mündet in einer Foto- sowie einer Wanderausstellung.Vielen Menschen fällt es schwer, von schlimmen oder gar traumatischen Erfahrungen zu erzählen. Mit dem Handy einen Gegenstand oder eine Landschaft aufzunehmen, erfordert weniger Überwindung und ermöglicht dort zu kommunizieren, wo die Sprache ausbleibt. Also animierte Margit Bartl die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zu fotografieren. Sie fragte zum Beispiel: «Was hat Sie aus Ihrer Heimat begleitet?» Die Geflüchteten lichteten eine Uhr, eine Gebetskette oder die Spielfigur eines Kükens ab. Zur Frage «Was sehen Sie als für die Schweiz typisch an?» bildeten sie einen Ticketautomaten, ein Alphorn oder den Rheintaler Binnenkanal ab.Eine Wand mit hundert Fotos bespielenMargit Bartl schaut die auf dem Tisch liegenden Fotos an und sortiert sie für die Ausstellung. Sie bespielt eine Wand im Nefenfeld mit hundert Bildern. Dazu zeigt sie einige Exponate. Es sind Originale der fotografierten Gegenstände. Diego Dengg aus Widnau hat am Workshop gefilmt. Er zeigt ein Making-of-Video.Mit der Zeit fassten die Teilnehmenden Vertrauen, wurden offener und es entwickelten sich Freundschaften. «Das Projekt bietet auch mir einen Mehrwert», sagt Margit Bartl. «Meine Sichtweise hat sich verändert.» Sie sei den Menschen näher gekommen und empfinde Dankbarkeit und Demut für Dinge, die ihr bisher als selbstverständlich erschienen.Die Auerin ist eine Künstlerin, die ihr Schaffen nicht primär dazu nutzt, um eigene Erfahrungen zu verarbeiten. «Mich interessieren die Menschen. Ich möchte ihnen kulturell näher kommen», sagt sie. Ausserdem will sie erreichen, dass Migrierte und Einheimische einander kennen lernen.Deshalb führt sie die Ausstellung im Zeichen der Internationalen Wochen gegen Rassismus (14. bis 27. März) durch. Die zweite Komponente des Projekts betrifft die Wanderausausstellung. Sie wird im öffentlichen Raum gezeigt und erreicht somit ein breiteres Publikum, als es an der stationären Ausstellung möglich ist. Auf zwölf Plakaten sind junge Männer abgebildet. Sie alle haben es geschafft, im Rheintal Fuss zu fassen.Zuerst werden die grossformatigen Bilder im Nefenfeld aufgestellt. Die nächste Station ist der Kirchweg in Au, im August stehen sie auf dem Lindenhausplatz in Berneck und im Mai/Juni in St. Margrethen.Hinweis: Die Vernissage zur Ausstellung «Das Wir in Fotos» ist am Freitag, 25. März, um 18.30 Uhr im Nefenfeld in Widnau. Sie kann bis zum 8. April jederzeit besucht werden. Zur Finissage gibt es um 17 Uhr einen geführten Spaziergang durch Widnau.

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