22.07.2019

Krähenschreck als moderne Kunst

Fotos von Rheintaler Vogelscheuchen werden in Italien gesammelt – von einem Vogelscheuchenmuseum.

Von Ruedi Loher
aktualisiert am 03.11.2022
Viele alte Oberrieter Bräuche sind über die Jahre verloren gegangen. Etwa das «Blindensteuben» beim Schloss Blatten oder die «Pfingschta-Manna» auf den Hausdächern im Weiler Moos. Beides gehörte wohl über Generationen zum Oberrieter Brauchtum. Das «Bleandaschtööba» war eine Art Volksgericht, bei dem mit viel Radau vom Blattenberg herab die Namen von den Männern geschrien wurden, die ihre Frau schlagen. Der unschöne Brauch ist ebenso ausgestorben wie das «Pfingschta-Manna»-Aufhängen. Dabei hängte man in der Nacht auf Pfingstmontag bei den Häusern ledig gebliebener Frauen oder Männer Strohpuppen auf – und setzte damit diese Leute dem Spott aus.«Pfingschta-Manna» waren Strohpuppen, die Vogelscheuchen ähnelten. Vogelscheuchen wiederum stellte man früher auf Äcker und Felder, um Saat und Feldfrüchte vor Vögeln zu schützen. Auch sie sind verschwunden – meistenorts jedenfalls.Ein Oberrieter setzt noch heute auf VogelscheuchenRadelt oder wandert man aber durchs Oberrieter Riet nördlich des Dürrenbachs – zur Zeit der Anbauschlacht nannte der damalige Grundstückbesitzer die Gegend «Bösmad» –, entdeckt man am Rand eines Pflanzplätzes tatsächlich nebst weiterem Abschreckmaterial zwei mannshohe Vogelscheuchen. Vom Rietpflanzer Ruedi Diethelm brauchtümlich wie früher hergerichtet, stehen sie steckengerade, magisch starr, in alte Klamotten gewandet. Ihre Aufgabe ist die Bewachung des mit viel Liebe bepflanzten Feldgartens vor Vogel- und Tierfrass. Gut möglich, dass es heute das einzige auf Oberrieter Gemeindegebiet noch anzutreffende Saatschützerpaar ist. Doch man kennt es sogar in Italien.Wie schon letztes Jahr gingen nämlich auch heuer wieder Fotos von den neu eingekleideten Scheuchen ans einzige alpine Vogelscheuchenmuseum in Roncegno Terme im bergigen Val Sugana im Trentino. Dank eines vor Jahren zufällig zustande gekommenen Kontaktes, bei dem das Museum von den Sorgen der hiesigen Volkskundler wegen des Verschwindens der Vogelscheuchen im Rheintal erfuhr, besteht seit einiger Zeit ein Informationsaustausch.Mit der Vogelscheuche am TischDie Sammlung des alpinen Vogelscheuchenmuseums geht auf Flavio Faganello zurück, der ein im Trentino bekannter Fotograf, Reporter, Journalist und Autor war, geboren 1933, gestorben 2005. Er hatte die Schönheit der Vogelscheuchen erkannt und sammelte während zwanzig Jahren die «frechsten» Figuren im gebirgigen Val Sugana und in der angrenzenden Region – und auch Geschichten dazu. So erzählt man sich, dass Vogelscheuchen von den ärmlich lebenden Selbstversorgern jener Gegend wie Familienmitglieder behandelt wurden, etwa von einem 90-Jährigen, der seinen «Girolamo» dreimal am Tag an seinem Tisch als Freund Platz nehmen liess …Die Vogelscheuchensammlung von Faganello wird heute touristisch vermarktet und seit 2006 in einem Museum gezeigt. Die Besucherzahl nahm noch zu, als vor einiger Zeit italienische Kunstkreise und Medien die Vogelscheuchen der Pop-Art zugeschrieben haben. Der Scheuchenforscher erlebte dies bereits nicht mehr. Sein Buch «Gli Spaventapasseri», das er 2005 schrieb, kurz vor seinem Tod und ein Jahr vor Eröffnung des Museums, wird aber auch im Gemeindemuseum in Oberriet in Ehren gehalten. Nicht zuletzt wegen des Kontaktes der beiden Museen und weil hier die grosse eigene Vogelscheuchenausstellung von 2008 noch in bester Erinnerung ist.

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