01.05.2020

Kommentar: Zensur-Lust ist nicht ausrottbar

Kunst polarisiert immer wieder. Das ist gut. Auch dazu ist sie da. Dass aber ein Bild wie Kuspis «Entstehung der Gefühle» Anstoss erregt, ist verwunderlich.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Natürlich muss es nicht gefallen, und niemand muss gutheissen, dass der Künstler in einer Fülle von Elementen ein paar abstrahierte Geschlechtsteile zeigt. Doch die Abdeckung des Werks, nachdem es fünf Jahre in aller Öffentlichkeit an einer Wand geprangt hatte, mutet seltsam an. Dies umso mehr, als berühmte, anerkannte Künstler wie Picasso oder Egon Schiele weibliche und männliche Genitalien prominent in den Vordergrund ihrer Aktkunst gerückt und diese Art von Kunst gesellschaftsfähig gemacht haben.Dass auch Kinder das beanstandete Werk Kuspis sehen können, ist ein gegen das Gemälde vorgebrachtes Argument, das in der heutigen Zeit seltsam anmutet. Der freie Zugang im Netz zu ganz anderen Bildern und die breite gesellschaftliche Akzeptanz weit freizügigerer Sujets in der Kunst lassen die Bild-Abdeckung in Diepoldsau wie eine anachronistische Posse erscheinen.Befände sich Kuspis Werk an einem öffentlichen Gebäude, würde es den Blicken der Allgemeinheit wegen teilweiser Kritik kaum entzogen. Zu unspektakulär, zu etabliert ist diese Art von Kunst. Private können aber selbstverständlich selbst entscheiden, was sie zeigen möchten und was nicht. Erwachsenen ist zudem freigestellt, ob sie auf Fragen von Kindern zu Kunstwerken Antworten geben oder doch lieber die Kunst aus dem Blickfeld verbannt haben möchten. Die Zensur-Lust ist nicht ausrottbar.

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