21.07.2021

Keine Mannschaftskluft für Mädchen

In unserer Sommerserie "Der grösste Fan" verraten Redaktorinnen und Redaktoren, was sie begeistert. Im ersten Teil schreibt Monika von der Linden über die Kirche.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Kann ich mich von einem Menschen, einer Gruppe oder Sache so sehr begeistern lassen, dass ich mich als Fan bezeichnen würde? Diese Frage stellte ich mir, als ich mir ein Thema für einen Beitrag in unserer Sommerserie überlegte.Einer meiner Redaktionskollegen brachte mich auf die Idee. Ich schreibe unter meinen Kolleginnen und Kollegen wohl die meisten Artikel über die christliche Institution oder Menschen, die sich in der Kirche einsetzen oder sich an ihr reiben. Ich bin wohl ein Fan der Kirche.Bevor ich mich meinen Gedanken hingebe, ob der Begriff in meinem Fall wirklich zutrifft, befasse ich mich mit seiner Herkunft. Laut Wikipedia leitet man das Wort Fan aus dem Englischen (fanatic: eifernd, schwärmerisch, sich rücksichtslos einsetzend) oder dem Lateinischen (Fanaticus: von der Gottheit ergriffen, in rasende Begeisterung versetzt) her.Als Katholikin entscheide ich mich für die lateinische Wortverwandtschaft. Sie bezieht sich auf Gott. Und das tut die Kirche ja schliesslich auch.Als Mädchen schweigend in der Bank sitzenWie kam es dazu, dass ich begann, mich in der Kirche zu engagieren? Ich hätte genauso gut ein Fussballfan werden können. Kirche und Fussball waren nämlich die Themen, die daheim die Wochenenden dominierten. Verlor der 1. FC Köln, war die Laune meines Vaters ebenso übel wie nach einer lausigen Predigt des Pfarrers.Von der Liveübertragung im Radio der Bundesligaspiele konnte ich mich hin und wieder fernhalten, vom Gottesdienst nicht. Egal, wie erquickend oder langweilig er war, es war schlicht meine Katholikinnenpflicht, jeden Sonntag – der Samstagabend war nur in Ausnahmen erlaubt – den einschläfernden Worten des Pfarrers zu lauschen. Ich durfte noch nicht einmal die Mannschaftskluft der Ministranten tragen. Das war den Buben vorbehalten. Als Mädchen hatte ich schweigend in der Bank zu sitzen. Einer Jugendgruppe anzugehören, war in meiner Heimatpfarrei gleichzusetzen damit, Ministrant zu sein. Sonst war da nichts. In «rasende Begeisterung» war ich damals nicht versetzt.Dann erlebte ich einen Schlüsselmoment. Es war eine Begegnung, keine Marienvision oder sonst ein übernatürlicher Vorfall. Ein gleichaltriger Kollege nahm mich in eine andere Pfarrei in der Stadt mit. Dort gab es eine Jugendarbeit, die den Namen verdiente. Ich lernte, mir eine Meinung zu bilden und sie zu vertreten. Wir diskutierten – auch mit dem Pfarrer – über das Waldsterben und Basisdemokratie. Die christlichen Werte gaben mir Orientierung in politischen Diskursen. Und ganz wichtig: Ich hatte glaubwürdige Vorbilder und war «von der Gottheit ergriffen».Ein Fan geht mit dem Verein durch Dick und DünnVerkörpert die Kirche heute etwas, von dem ich Fan sein möchte? Der Kirchen-Fanclub schrumpft seit Jahren. Man könnte sagen, ein echter Fan geht mit seinem Verein durch Dick und Dünn. Das beweisen die FCSG-Fans immer wieder.Das funktioniert aber nur solange, wie auch der Verein zu seinen Fans steht. Frauen dürfen bei den Katholiken noch immer nicht die gleiche Berufskleidung tragen wie Männer. Liturgische Gewänder bleiben ihnen verwehrt. Wer seine sexuelle Neigung – abseits der katholischen Ehe – bekennt und nicht verschweigt, wird zwar in Ruhe gelassen, aber moralisch ausgeschlossen.Man mag sagen, das sind alles Themen der Amtskirche in Rom. Davon sind wir hier im Rheintal nicht betroffen oder können es nicht ändern. Ich habe über mehrere Beispiele geschrieben, in denen Missgunst, Schweigen und das Streben nach Einfluss unheilvolle Auswüchse erreicht haben.Meine Mutter war davon überzeugt, dass die Katholische Kirche allein deshalb richtig und gut sei, weil sie mehr als 2000 Jahre lang überlebt habe. Man könnte auch sagen, manches Bodenpersonal vermochte es nicht, das Christentum zu zerstören.Ich bin ein Fan. Und zwar von jenen Menschen, die einander Respekt zollen, ehrlich sind und die Menschen als wichtiger einstufen als eine Institution. Diese Menschen dürfen gern Katholikinnen oder Katholiken sein, aber auch Atheistinnen und Atheisten.Wie schreibt man heute politisch korrekt Gott? Vielleicht so: Gott*in.

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