13.04.2018

Keine Lust auf Polit-Abstinenz

Das Vorurteil scheint in Stein gemeisselt: Jugendliche beteiligen sich kaum am politischen Prozess. Zumindest in Thal liegt man damit aber falsch. Dort geschieht an Abstimmungssonntagen jeweils Erstaunliches.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Benjamin SchmidDer Kanton St. Gallen hat für 13 Gemeinden die Stimmbeteiligung der letzten drei Bundesabstimmungen im Detail analysiert. Zu den durchleuchteten Kommunen zählen auch Au und Thal. Besonders die Ergebnisse für die Gemeinde am See verblüffen. Denn sie räumen mit dem Vorurteil auf, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene nicht für Politik interessieren und darum auch kaum an die Urne gehen.In allen drei untersuchten Bundesabstimmungen ist die Beteiligung der 18- bis 24-Jährigen Thalerinnen und Thaler höher als jene der 25- bis 39-Jährigen im selben Dorf. Auch im Vergleich der 13 St. Galler Gemeinden steht Thal an der Spitze; nirgendwo sonst gingen so viele Menschen abstimmen, die noch nicht 25 sind. Ein Beispiel: Bei der «No-Billag-Initiative» gab fast die Hälfte der Angehörigen dieser Alterskategorie ihre Stimme ab. Währenddessen stimmten in Au nur knapp 36% und in der Stadt St. Gallen 39% der unter 25-Jährigen ab.Die Gemeinde fördert das Interesse der JungenDie Thaler Gemeindebehörden kennen diese Zahlen. «Wir sind schon überrascht, haben aber bei anderen Gelegenheiten ähnliche Feststellungen gemacht», sagt Gemeinderatsschreiber Christoph Giger.So hätten zum Beispiel noch nie so viele junge Stimmberechtigte an einer Bürgerversammlung teilgenommen wie dieses Jahr. Über die Gründe für das grosse Polit-Interesse der Thaler Jugendlichen kann Giger nur spekulieren: Einerseits fördere die Gemeinde ein aktives Vereinsleben. Durch die Tätigkeit im Verein kämen die Jugendlichen wohl eher mit politischen Fragen in Berührung. Andererseits, so Giger, werde das öffentliche Gemeinwesen seit der Gründung der Einheitsgemeinde verstärkt in den Schulstoff eingebunden.Was auch eine Rolle spielen könnte: In der Marienburg, wo früher Patres Privatschüler unterrichteten, werden heute minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge betreut. Giger vermutet, das Schicksal dieser jungen Menschen wecke in vielen Gleichaltrigen den Wunsch, die eigene Meinung kundzutun.Nicht weniger interessant sind die übrigen Auswertungen, die der Kanton kürzlich veröffentlicht hat. Sie bestätigen allerdings eher, was man bereits vermutete. So sind zum Beispiel die 60- bis 80-Jährigen durchgehend die Spitzenreiter, wenn es um die Abstimmungsbeteiligung geht. Bei «No Billag» stimmten in dieser Altersgruppe in Thal 65,3% der Berechtigten ab.Auch stimmen Männer häufiger ab als Frauen. Thal und Au liegen diesbezüglich im Schnitt. Auffallend: In beiden Dörfern war der geschlechterspezifische Unterschied bei der «AHV-Vorlage» (September 2017) geringer als bei den beiden anderen untersuchten Vorlagen («Energiegesetz» und «No Billag»). Die Wahlbeteiligung stieg in Au an allen drei Abstimmungssonntagen nur knapp über 50 Prozent. In Thal hingegen überschritt man zumindest bei «No Billag» diese Marke um mehr als 6%.E-Voting verlor nach kurzer Zeit an AttraktivitätIn vier der untersuchten Ge­meinden konnte elektronisch ab­gestimmt werden. Die Stimm­beteiligung war hier rund zwei Prozentpunkte höher als in den Referenzgemeinden, in denen herkömmlich abgestimmt wurde.Nach Geschlecht betrachtet, stimmten in allen vier Gemeinden jeweils die Männer häufiger elektronisch ab als die Frauen. Die 25- bis 39-Jährigen betei­ligten sich am häufigsten bei der elektronischen Abstimmung. Wenig überraschend weisen hier in allen Gemeinden die 60- bis 80-Jährigen die tiefste Beteiligungsquote auf.Darüber hinaus zeigt die Stimmbeteiligungsstatistik, dass der Anteil Stimmberechtigter, die von der elektronischen Abstimmung Gebrauch machten, bei der «No-Billag-Vorlage» sank. Auch in absoluten Zahlen sank die Zahl der elektronisch Stimmenden, obwohl die Stimmbeteiligung im März 2018 deutlich höher lag als im September 2017.

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