17.10.2018

Kein guter Tag zum Sterben

Massimo Schawalder, aufgewachsen in Widnau, vermarktete Spielbanken, Uhren und Unterwäsche. Heute schraubt er an seinen Motorrädern. Gefährlicheren Hobbys hat er längst abgeschworen.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
Seraina HessZwischen Schraubenschlüssel, Hebebühne und Zylinderköpfen liegen Überbleibsel aus vergangenen Jahrzehnten. Zwei Spielautomaten stehen am Fenster, eine Autonummer aus Colorado ziert das Regal. Massimo Schawalder hat sich vor einem Monat mit 62 Jahren aus dem Berufsleben verabschiedet. Seither richtet er die Garage ein, die er mit einem Freund mietet. Das Restaurieren alter Motorräder – es ist keine Beschäftigungstherapie nach der Pension. Schawalder interessiert sich für Motoren, seit er als 14-Jähriger in Widnau zum Töfflibub wurde. Das mit fortschreitender Karriere steigende Budget hat ihm ermöglicht, über die Jahre einige schnelle Autos und Motorräder zu fahren. Der italienischen Moto Guzzi ist er schliesslich treu geblieben. Obschon sie ihm nie als Statussymbol gedient habe: «Geld war und ist mir immer nur Mittel zum Zweck: Ich kann damit verwirklichen, was mir Freude bereitet. Beeindrucken muss ich mit Besitz niemanden», sagt der Mann, der das Casino St. Gallen die letzten zwölf Jahre geleitet hat. Trotz der handwerklichen Ader will er sich nicht im Übergewand ablichten lassen. «Es wäre prätentiös», begründet Schawalder. «Ich bin Amateur-Mech und will mich nicht in eine Liga heben, in der ich nicht mithalten kann.» Casino-Leiter beim IndianerstammVielleicht spiegeln Lederjacke und Chüeligurt Massimo Schawalders Werdegang besser. Der in Gonten und Widnau aufgewachsene Studienabbrecher, der einst Englisch- und Deutschlehrer werden wollte, fand nach einer Ausbildung zum Tontechniker über eine Leidenschaft, das Flippern, in die Spielbranche. Im Marketing wirkte er bei der damaligen Zürcher Tivolino AG, Vorläuferin der Swiss Casinos. Bei der Eröffnung ihrer ersten Schweizer Spielbank in den USA entsandte sie den Kommunikationsleiter nach Denver, Colorado. Seine damalige Freundin und heutige Frau bestärkte Schawalder darin, indem sie ihm über den Atlantik folgte. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit seiner Macher-Mentalität: Die Staaten der frühen 1990er-Jahre sagten Massimo Schawalder zu. Dass seine Möglichkeiten doch an Grenzen stossen, bemerkte er, als er Geschäftsführer eines Casinos wurde, das dem Indianerstamm Iowa Tribe of Oklahoma gehörte. Nach einem knappen Jahr gab er auf: «Es ist hart, im Land des weissen Mannes erfolgreich zu geschäften, wenn die Indianer nach ihren Werten arbeiten.» Doch wie so oft in Schawalders Berufsleben folgte auf die eine Gelegenheit die nächste. Ein Headhunter warb ihn für Rado an, eine Luxusmarke der Swatch-Gruppe. Mit der Gattin und der inzwischen geborenen Tochter zog er nach Solothurn. Das er ziemlich schnell wieder in Richtung New York verliess, als sich ihm die Gelegenheit zur internationalen Marketingleitung von Hamilton bot. Zur endgültigen Rückkehr in die Heimat kam es erst, als der Uhrenfabrikant den Hauptsitz in die Schweiz verlegte. Die anstehende Schulbildung der Tochter machte es der Familie leichter, den USA den Rücken zu kehren.Respekt vor dem Risiko kam als FamilienvaterSchawalder blieb nicht mehr lange in der Uhrenindustrie und wechselte zum Modeunternehmen Wolford nach Bregenz, wo er Strumpfhosen, Bodys und Wäsche vermarktete. «Es ist ganz gleich, um welches Produkt oder welche Dienstleistung es geht», sagt er. «Wichtig ist immer die Geschichte, die darum herum erzählt wird.» Dennoch war es das St. Galler Casino, das Schawalder schliesslich zu seiner letzten beruflichen Station auserkoren hat, nachdem mehrere Direktoren gescheitert waren. «Dem Casino gelingt es, den Besucher in Sekunden in eine völlig andere Welt zu entführen», sagt er. Das Spiel mit dem Glück, das weder Reich noch Arm bevorzuge, habe ihn stets eingenommen, obschon er selbst die Finger davon liess. Auf Risiko verzichtete Schawalder aber nicht immer. Bis Mitte 30 war der Auswanderer nicht nur Motorradfahrer, sondern auch angefressener Fallschirmspringer. «Today is a good day to die»: Ein Leitsatz, den er von einem guten Freund aus dem Indianerstamm übernommen hatte und beim Absprung jedes Mal aufs Neue verinnerlichte. Was eine Zeit lang gut funktionierte. Bis auf den Tag, als Frau und Tochter – damals ein sechsmonatiges Baby – auf einem Landeplatz in Colorado warteten. Noch in der Luft wurde ihm klar: «Nein, heute ist kein guter Tag zu sterben.» Schawalder verkaufte die Ausrüstung und ist seither nie mehr gesprungen. Und wird auch jetzt, nach der Pensionierung, davon absehen.

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