09.05.2022

Kaufen wir der «Gaiserbahn» neue Züge!

Die Bahnlinie nach Gais ist zu unrentabel. Erreichen die Züge ihre Lebensdauer, sollen sie nicht mehr ersetzt werden. Lässt sich die Stilllegung der Zahnradstrecke abwenden, wenn den Appenzeller Bahnen neues Rollmaterial finanziert wird? Wir fragten nach.

Von Max Tinner
aktualisiert am 02.11.2022
Seit einer Weile steht  – einmal mehr – die Stilllegung der Bahnstrecke zwischen Altstätten und Gais im Raum. Wenn das auf dieser Strecke eingesetzte Rollmaterial im Jahr 2035 das Ende seiner Lebensdauer erreicht und ersetzt werden müsste, wollen die Bestellerkantone St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden auf Busbetrieb oder eine alternative Betriebsform umstellen. Dies, weil der Bahnbetrieb auf der Strecke zu wenig wirtschaftlich sei, wie 2019 der Entscheid begründet wurde.Doch was wäre, wenn sich alle, denen diese Bahnstrecke am Herzen liegt, zusammentäten, Geld sammelten und den Appenzeller Bahnen einen nigelnagelneuen Zahnradzug finanzierten? Dies müsste die Wirtschaftlichkeitsberechnungen doch auf eine völlig neue Basis stellen, denken wir und fragen nach …Liebe Appenzeller Bahnen: Möchtet ihr einen neuen Zug?Die Appenzeller Bahnen steigen auf die vorläufig hypothetische Frage ein. «Fallen für uns die Investitionskosten weg, ist ein wesentlicher Teil der Kosten gedeckt, was sich positiv auf den geforderten Kostendeckungsgrad auswirkt», hält Mediensprecherin Erika Egger fest. Sie weist aber auch darauf hin, dass ein einzelner Zug nicht genügte. Auch heute verfügen die Appenzeller Bahnen für diese Strecke über zwei Kompositionen. Vorstellbar wären bei einer Neubeschaffung allerdings auch lediglich zwei Einzeltriebwagen, die einzeln eingesetzt würden oder bei hoher Auslastung zusammen verkehren könnten. So mache man dies bei der Rorschach-Heiden-Bahn.Liebe Stadler Rail: Was kosten zwei Züge von dir?Wir glauben an die Zukunft der Bahnstrecke Altstätten-Gais und wollen den Appenzeller Bahnen keine Zügli kaufen, sondern Züge. Wir möchten darum von Stadler Rail wissen, was denn solche für Zahnradstrecken heutzutage kosten. Stadler betitelt sich selbst als weltweit führender Hersteller von Zahnradzügen. Doch einen Preis, selbst einen ungefähren, möchte das Unternehmen nicht nennen. Man stelle die Züge nach individuellen Anforderungen und Ausstattungswünschen her und dies bereits ab Stückzahl eins, antwortet Fabian Vettori von der Stadler-Rail-Medien­stelle. Da sei ohne näheres Anforderungsprofil keine belastbare Kostenangabe möglich.Eine Grössenordnung geben  immerhin Zeitungsberichte von Investitionen verschiedener Schweizer Bahngesellschaften in neue Zahnradzüge. So haben die Jungfrau-Bahnen im Jahr 2016 vier dreiteilige Niederflurzüge mit Zahnradantrieb für 32 Mio. Franken gekauft, also zu einem Stückpreis von 8 Mio. Franken. Maximale Steigung 250 ‰, Höchstgeschwindigkeit 33 km/h. Diese Züge fahren bis aufs Jungfraujoch – die maximale Steigung von 160 ‰ von Altstätten auf den Stoss hinauf würden sie locker schaffen. Die Appenzeller Bahnen wenden allerdings ein, dass vom Stoss nach Gais im Adhäsionsbetrieb gefahren werde. Und «dort sollten vernünftige Geschwindigkeiten gefahren werden können». Sprich: schneller als lahme 33 km/h.Die Zentralbahn, die von Luzern über den Brünig nach Interlaken fährt, hat vor rund zehn Jahren für 140 Mio. Franken bei Stadler Rail sechs dreiteilige Zahnradzüge des Typs Fink («Flinke innovative Niederflurkomposition») und vier siebenteilige des Typs Adler («Alpiner dynamischer leiser eleganter Reisezug») gekauft. Diese Züge bringen es auf eine Maximalgeschwindigkeit im Adhäsionsbetrieb von 120 km/h. Allerdings beträgt die maximale Steigung lediglich 120 ‰ – ihr Antrieb ist also zu schwach für den Stoss.Die Transports Montreux-Vevey-Riviera bestellten 2013 wiederum bei Stadler Rail acht Züge des Typs ABeh 2/6 für die Strecke zwischen Vevey und Les Pléyades mit einer maximalen Geschwindigkeit von 60 km/h im Adhäsionsbetrieb. Auf jener Bergstrecke sind bis 200 ‰ zu überwinden. Dieser Typ käme also für den Stoss in Frage. In einem Dokument des Kantons Waadt sind die Kosten für jene Beschaffung mit 51 Mio. Franken beziffert, also mit knapp 6,5 Mio. Franken pro Zug.Handgelenk mal Pi mal Teuerung geteilt durch Minderlänge dürfte man für zwei neue Züge für die Strecke Altstätten-Gais etwa auf 16 Mio. Franken kommen.Liebe Stadt Altstätten: Zahlst du etwas dran?Ein Interesse am Erhalt der Bahnstrecke hat man im Besonderen in Altstätten, wo die letzten Jahre verschiedentlich zu hören war, «man muss etwas tun». Wir wollten von Stadtpräsident Ruedi Mattle wissen, ob die Stadt bereit wäre, Geld für neue Züge in die Hand zu nehmen, so sieben acht Milliönchen beispielsweise, damit zumindest der eine Zug bezahlt wäre.Mattle zeigt sich interessiert. Er ist aber ein Zahlenmensch und rechnet. Bei einer Abschreibungsdauer von 30 Jahren wären jährlich 267000 Franken abzuschreiben. Die Stadt zahle bereits heute 1,2 Mio. Franken an den öffentlichen Verkehr. Die jährlichen öV-Kosten der Stadt würden also um etwa 22 % steigen, dies bei einem Steuerprozent von aktuell rund 221000 Franken. «Ob die Bürgerschaft dies gutheissen würde?», fragt sich Mattle. Er schliesst ein finanzielles Engagement der Stadt nicht grundsätzlich aus, denkt dabei aber eher an attraktivitätssteigernde Massnahmen, die die Nachfrage fördern und auf diese Weise die Wirtschaftlichkeit verbessern. «Insofern sind wir alle gefordert, zum Beispiel für die Fahrt nach St.Gallen auch mal auf die Appenzeller Bahnen umzusteigen … dann kann man sogar noch die wunderbare Aussicht ins Rheintal geniessen!»Liebe Appenzeller Bahnen: Wie wär’s mit einer Durchmesserlinie?Bei den Appenzeller Bahnen sieht man es gleich. Es gehe nicht nur um die Ersatzbeschaffung von Fahrzeugen, sondern vielmehr um die Auslastung der Bahn, also um die Nachfrage. Eine Arbeitsgruppe, in der auch die Stadt Altstätten vertreten ist,  macht sich zurzeit Gedanken, wie sich diese steigern lässt (siehe untenstehenden Text «Es fehlt nicht viel»).Womöglich würden attraktivere Verbindungen helfen: Wie wäre es zum Beispiel, wenn die Appenzeller Bahnen zusätzlich zur bereits bestehenden Durchmesserlinie Trogen-St. Gallen- Appenzell eine zweite mit Altstätten als Start- bzw. Zielbahnhof einrichteten und nicht nur bis Gais, sondern weiter über Appenzell, Urnäsch und Herisau bis Gossau fahren würden oder als touristische Verbindung via Appenzell nach Wasserauen, an die Talstation der Ebenalpbahn? – «Eine interessante Idee», meint Erika Egger von den Appenzeller Bahnen dazu, «wir nehmen den Input gerne auf für unsere weitere Überlegungen.» Es fehlt nicht vielIm Rheintal und Appenzellerland möchte man den Entscheid der Kantone St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden zur Zukunft der Zahnradstrecke Altstätten- Gais nicht hinnehmen. Seit er 2019 kommuniziert wurde, hat sich eine Arbeitsgruppe formiert, die sich Gedanken dazu macht, wie die Bahnlinie zu retten ist. In ihr vertreten sind auch die Stadt Altstätten und der Verein St. Galler Rheintal.An der Hauptversammlung des Vereins AG2, die kürzlich in Wasserauen stattfand, informierte Alexander Bless, der Geschäftsführer der Stiftung historische Appenzeller Bahnen, über den Stand der Diskussion. Zuversichtlich stimmt ihn, dass zum Erreichen einer Wirtschaftlichkeit von 30 Prozent, wie sie von den Kantonen als Kriterium für die Weiterführung des Bahnbetriebs festgelegt wurde, anscheinend gar nicht so viel fehlt. Sie liege bei etwa 26%. «Dass die Bahnlinie regulär weiterbetrieben werden kann, ist also gar nicht mal so utopisch», stellte Bless fest.Die Arbeitsgruppe macht sich deshalb Gedanken, wie sich die Wirtschaftlichkeit verbessern lässt. «Ziel muss sein, mehr Leute auf die Bahn zu bringen», betont Alexander Bless. Helfen würde schon, gäbe die SBB-Fahrplan-App die Route via Stoss als Alternative an. «Heute bekommt man alle möglichen Routen angezeigt, nur nicht die über den Stoss», sagt Bless. Aber da tue sich etwas. Dies sagte auch Sabina Saggioro vom Verein St. Galler Rheintal letzten Freitag am Behördenanlass an der Rhema.Den Appenzeller Bahnen jetzt eine Perspektive bietenKonkretisieren will die Arbeitsgruppe ihre Vorschläge zur strategischen Positionierung der Bahnstrecke Altstätten-Gais bei ihrer nächsten Zusammenkunft noch in diesem Monat.Jetzt den Appenzeller Bahnen eine Perspektive aufzuzeigen ist laut Alexander Bless matchentscheidend. Denn würde die Strecke mangels einer Zukunftsaussicht nur noch mit reduziertem Unterhalt auf ein Ablaufdatum hin betrieben, könnte dies innert der nächsten zehn Jahre zu einem dermassen erhöhten Investitionsbedarf führen, dass die Weiterführung des Betriebs daran scheitert und womöglich sogar das Trassee rückgebaut wird.Zweck des Vereins AG2 ist die Instandstellung des letzten gleichnamigen Triebwagens aus dem Jahr 1911, als die Zahnradstrecke Altstätten-Gais eröffnet  wurde. Dies mit dem Ziel, mit ihm dereinst im Rahmen von Sonderfahrten wieder die Bergstrecke befahren zu können. Dem Verein liegt also viel am Erhalt der Bahnstrecke. Alexander Bless ist gebürtiger Altstätter und war viele Jahre Präsident des Vereins AG2.

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