26.11.2020

Kanton drückt bei Haltestellen aufs Gas

Das Behindertengleichstellungsgesetz verlangt bis 2023 Anpassungen im öffentlichen Verkehr. Doch die Zeit wird langsam knapp.

Von Karin Erni
aktualisiert am 03.11.2022
In Appenzell Ausserrhoden mit seinen Streusiedlungen wird es wohl nie zu einem vollständigen behindertengerechten Ausbau der fast 300 Bushaltestellen kommen. «Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist gemäss Gesetz zu wahren», sagt der Ausserrhoder Kantonsingenieur Urban Keller. «Der Bedarf für einen Ausbau muss gegeben sein und in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten stehen.»Je besser frequentiert eine Haltestelle ist, desto grösser ist die Chance, dass sie umgebaut wird. Auch Umsteigeorte werden prioritär behandelt. Diese Bedingungen sind vor allem bei den Haltestellen in Ortschaften und bei öffentlichen Gebäuden erfüllt. Für wenig genutzten Haltestellen ausserorts werde fallweise entschieden, erklärt Keller. «Mit der Behindertenorganisation Procap haben wir vereinbart, dass in den Fällen, wo eine behinderte Person neu eine wenig frequentierte Haltestelle regelmässig nutzt, die kantonalen oder kommunalen Behörden dafür eine unbürokratische Lösung finden sollen.»Kanton drängt die Gemeindenzur EileNach Abwägen der Verhältnismässigkeit sind es immer noch 63 Haltestellen, die 2023 umgebaut werden müssen. Die Zeit drängt. Zwar gibt es von Bundesseite keine Sanktionen, wenn die Haltestellen nicht rechtzeitig angepasst sind. Die Mängel können aber durch Personen oder Organisationen eingeklagt werden. Vom Ausbau der Haltestellen profitieren nicht nur Menschen mit einer Behinderung, auch Fahrgäste mit Kinderwagen oder Rollkoffern erhalten mehr Komfort.Zuständig für den Umbau sind die Strasseneigentümer, also Kanton und Gemeinden. «Obwohl seit bald 20 Jahren bekannt ist, dass die Haltestellen umgebaut werden müssen, hat sich lange Zeit nicht allzu viel getan», sagt Urban Keller selbstkritisch. Dort, wo ohnehin gebaut wurde, habe man die Vorschriften umgesetzt. «Doch der grosse Rest wurde stiefmütterlich behandelt.» Der Kanton hat 2017 alle Haltestellen inventarisiert und anschliessend die Verhältnismässigkeit geprüft. Jetzt müssen bis Ende 2021 die Bauprojekte erarbeitet werden. «Dann haben die Gemeinden noch genügend Zeit, die Baukosten in die Budgets der Jahre 2022 und 2023 aufzunehmen.» Dass der Kanton den Lead übernimmt, habe einen Grund, erklärt Keller: «Das Trottoir gehört der Gemeinde, die Strasse dem Kanton. Bei den Haltestellen an Kantonsstrassen müssen also beide zusammenarbeiten.»Es sei bald klar geworden, dass die Gemeinden zu wenig Ressourcen und Fachwissen haben, so Urban Keller weiter. «Eine Haltebucht umzubauen tönt einfach, doch es hat seine Tücken.» Haltebuchten seien zwar besser für den Verkehrsfluss, aber bautechnisch anspruchsvoll, so der Ingenieur. «Wenn nicht alle Dimensionen auf den Zentimeter genau stimmen, kann der Buschauffeur die Haltestelle nicht richtig anfahren, weil er befürchtet, den Wagen zu beschädigen. Ist aber der Abstand zwischen Trottoir und Fahrzeug zu gross, ist der Nutzen für Behinderte nicht gegeben.»Gemeinden müssen Nutzungskonflikte regelnDie Gemeinden müssen ihre Haltestellen, die nicht an der Kantonsstrasse liegen, in Eigenregie projektieren, umbauen und finanzieren. Aber auch dort, wo der Kanton baut, ist ihre Mitarbeit gefragt. Innerorts bestünden oft Nutzungskonflikte, sagt Urban Keller. «Eine 22 Zentimeter hohe Haltekante zu erstellen ist bei Garageneinfahrten oder Eingangsbereichen von Gebäuden nicht möglich. Dann ist eine Verschiebung zu prüfen. Auch eine Verkürzung oder – als zweitbeste Lösung – eine Haltekante mit 16 Zentimetern Höhe kommen in Frage.»Die Gemeindebehörden müssten baldmöglichst mit den Liegenschaftsbesitzern das Gespräch suchen. «Diese Diskussionen müssen jetzt dringlich geführt werden, damit die Bauarbeiten rechtzeitig an die Hand genommen werden können.»Angaben zu den Gesamtkosten dieses Unterfangens kann Keller nicht machen. «Zuerst müssen konkrete Pläne vorliegen. Aber es kostet sicher eine rechte Stange Geld.»

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