22.12.2020

Jugendlichen den Druck nehmen

Lehrstellen dürfen noch früher als bisher publiziert werden. Das betrifft auch das regionale Berufswahlkonzept.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
«Als ich die Nachricht hörte, stellte ich die elektrische Zahnbürste ab – und das Radio lauter», sagt Ivo Riedi. «Damit ich genau zuhören konnte.» Der Präsident der Oberstufe Mittelrheintal spricht von einem Entscheid der EDK (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren). Mit dem Radiobeitrag gab sie kürzlich bekannt: Neu dürfen Firmen ihre Lehrstellen bereits 1,5 Jahre vor Lehrbeginn auf der staatlichen Lehrstellenplattform Lena (www.berufsberatung.ch) publizieren. Bisher dauerte der Vorlauf ein Jahr. Folglich dürften Jugendliche künftig bereits zu Beginn der zweiten Oberstufe mit der Berufswahl beginnen oder glauben, es zu müssen.Die Nachricht wirft die Frage auf, ob die neue Regel im Einklang mit der aktuellen Bestrebung der Rheintaler Arbeitsgruppe Schuwi (Schule und Wirtschaft) steht. Sie entwirft ein regionales Berufswahlkonzept und anvisiert das Ziel, ebendiesen Prozess der Jugendlichen zu entschleunigen. Dies will die Arbeitsgruppe erreichen, in dem sie Jugendlichen und Lehrbetrieben den Druck nimmt, einen Lehrvertrag so früh wie möglich unterzeichnen zu müssen (siehe Ausgabe vom 26. Oktober).«Es wäre toll, würden sich alle Erziehungsdirektoren auf ein Datum einigen, an dem ein Lehrvertrag frühestens unterschrieben werden darf.»Ivo Riedi, Präsident der Oberstufe MittelrheintalLaut Ivo Riedi haben beide Ansätze ihre Berechtigung. Gleichaltrige Jugendliche seien nicht gleich weit entwickelt. «Einige wissen anfangs der zweiten Oberstufe, welchen Beruf sie erlernen möchten, andere haben sich noch nicht mit dem Thema befasst», sagt er. Druck entstünde, sobald manche bereits eine Lehrstelle haben und andere erst zu schnuppern beginnen.Private und Kantone werden gleich behandelt«Man könnte den Eindruck erhalten, dass aufgrund des EDK-Entscheides Lehrstellen früher vergeben werden als es ohnehin der Fall ist», sagt Claude Stadler. Der Kommunikationschef der SFS Group arbeitet am regionalen Berufswahlkonzept mit. Seiner Meinung nach stehen die Bestrebungen nicht per se in Widerspruch zueinander. «Private Anbieter schreiben die Lehrstellen längst früher aus», sagt er. (www.yousty.ch) «Die Kantone durften dies bisher nicht.» Mit der neuen Regel werden Privatunternehmen und Kantone gleich behandelt. Weiter können sich Schülerinnen und Schüler früher einen Überblick verschaffen, in welchen Betrieben sie möglicherweise eine Ausbildung absolvieren können und folglich sinnvollerweise dort eine Schnupperlehre anstreben.«Man könnte den Eindruck erhalten, dass aufgrund des EDK-Entscheides Lehrstellen früher vergeben werden, als es ohnehin der Fall ist.»Claude Stadler, Leiter Kommunikation der SFS GroupClaude Stadler sieht es nun als umso wichtiger an, den Berufswahlprozess zu strukturieren. «Wir in der Arbeitsgruppe fühlen uns darin bestärkt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir sind überzeugt, dass über eine klare Unterteilung in Phasen und eine Koordination der Angebote, der Zeitpunkt der Lehrstellenvergabe nach hinten gerückt werden kann – und dies zum Vorteil aller involvierten Parteien: Für Jugendliche, Lehrbetriebe, Schulen und Eltern.»Alle Akteure können Beiträge leistenLehrerverbände kritisierten den EDK-Entscheid. Sie befürchten, dass Lehrverträge, falls zu früh geschlossen, häufiger wieder aufgelöst werden. «Damit dies nicht passiert, können auch die Schulen einen Beitrag leisten», sagt Ivo Riedi. Solange Bewerbungen im Unterricht nicht thematisiert werden, stehen Jugendliche nicht unter Druck. Mit dem neuen Konzept will die Arbeitsgruppe auch den Eltern vermitteln, dass es sinnvoll ist, dem Prozess Zeit zu geben.«Es ist zu früh, sich im März 2021 um eine Lehre zu bewerben, die im August 2022 beginnt.» Ivo Riedi sieht es als falsch an, wenn ein Betrieb bereits für eine Schnupperlehre eine vollständige Bewerbung verlangt. «Hier reichen der Name, die Adresse, ein Foto, und ein Zeugnis.»Der Schulpräsident wünscht sich eine politische Lösung für ein jahrzehntealtes und wachsendes Problem. Die Kantonsregierung habe mehrere Vorstösse von Rheintaler Kantonsräten abgewiesen. «Sie will in einer privatrechtlichen Angelegenheit nicht mitreden.» Es brauche jemanden, der einen unbequemen Lösungsvorschlag in die Diskussion einbringe. «Es kann nur Gewinner geben.» Eltern, Jugendliche, Betriebe und Schulen.«Es wäre toll, würden sich alle Erziehungsdirektoren auf ein Datum einigen, an dem ein Lehrvertrag frühestens unterschrieben werden darf», formuliert Ivo Riedi seinen Vorschlag.

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