05.11.2021

«Jeder soll die gleichen Chancen haben»

Der 47-jährige Roger Matt ist von der Sport Union Schweiz mit der goldenen Ehrennadel ausgezeichnet worden. Der Altstätter war zehn Jahre Ressortleiter Leichtathletik. Der Kugelstösser trainierte regionale Wurftalente, jetzt richtet er den Fokus auf die Schiedsrichterei.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Leichtathletik Die goldene Ehrennadel, die Roger Matt neulich in Wil erhalten hat, ist die zweitbedeutendste Belobigung, die vom Turnverband Sport Union Schweiz vergeben wird. Nur die Ehrenmitgliedschaft ist noch höher, «aber die ist langjährigen Mitgliedern des Zen­tralvorstands vorbehalten. Fürs «Fussvolk» sei die goldene Ehrennadel, die Matt auch schon in Silber erhalten hat, die höchste Auszeichnung.Die Athleten schwärmen von Matts GabentempelDie Ehrung kam für Roger Matt, der seit 40 Jahren Mitglied des KTV Altstätten ist, nicht über­raschend, sie war schon an den zwei letzten Delegiertenversammlungen vorgesehen. Die Wertschätzung freut Matt, er habe sie wohl auch erhalten, «weil einige aus dem Vorstand selbst erfahren haben, wie arbeitsintensiv die Organisation eines Verbändewettkampfs ist. Matt hat diese Arbeit während zehn Jahren bis 2019 erledigt. Die Wertschätzung, die er jetzt erhielt, hat er dabei vermisst. Vor zwei Jahren organisierte Matt in Balgach den Anlass zum letzten Mal, dies zum 100-Jahr-Jubiläum der Sport Union. An diesem Wettkampf war Matt, so sagte es Sportunio-Zentralpräsident Sepp Born in der Laudatio, der «Mr. Universal»: «Du warst OK-Chef, Sponsoringverantwortlicher, Teamchef und bist als aktiver Kugelstösser im Einzelklassement aufs Podest gestiegen.»Der Verbändewettkampf ist ein Anlass, den es seit 1948 gibt, katholische Verbände aus fast ganz Europa beteiligten sich daran. Inzwischen sind noch die Schweiz und Deutschland übrig geblieben. «Österreich möchte nur noch Nachwuchsathleten entsenden, aber so können sich die Sportler nicht miteinander messen», sagt Matt.Für den Altstätter hatte und hat der Wettkampf einen gros­sen Stellenwert: «Die meisten Leichtathleten kommen nicht in die Nationalmannschaft, am Verbändewettkampf haben viele die Möglichkeit, international aufzutreten.»Vom Gabentempel, den Roger Matt jeweils organisierte, schwärmen viele Athletinnen und Athleten. «Auf 1000 Telefonanrufe bei potenziellen Sponsoren bekam ich vielleicht 30 Zusagen. Dennoch war es immer ein ansehnlicher Gabentempel – nicht vergleichbar mit den Schwingern, aber für Leichtathleten sehr aussergewöhnlich.» Den riesigen Aufwand nahm Matt auf sich, «damit sich die Sportler etwas aussuchen konnten, von dem sie in dem Moment denken, es brauchen zu können». Nicht der zwanzigste Schuhsack.[caption_left: Roger Matt 2019 bei seinem letzten Gesa-Cup als Kugelstösser: «Im Winter schaufelte ich die Anlage frei. Aber nur hinter 12,50 Meter. Dann musste ich darüber hinaus werfen.»  Bild: ys]Roger Matt war früher selbst Kugelstösser, vor zwei Jahren in Balgach bestritt er seinen letzten Wettkampf. In der Jugi hatte er jeweils den Dreikampf aus Sprint, Weitsprung und Ballwurf / Kugelstossen bestritten. Die Disziplinenwahl fiel spä­ter nach Ausschlussverfahren: «Weitsprung ist nichts für meine Knie, für den Sprint war ich zu gross und zu schwer, nach 30 Metern zogen die anderen an mir vorbei. Also blieb Kugelstos­sen – es hat mir immer Freude bereitet.»Sein Alleinstellungsmerkmal als Kugelstösser war, dass er kein Krafttraining gemacht hat. «Wenn ich den ganzen Tag im Büro arbeite, möchte ich wenigstens draussen trainieren», sagt Roger Matt. Wenn Kräftigungsübungen dennoch sinnvoll erschienen, hüpfte er die Stufen auf der Gesa-Tribüne hoch. Wenn es Schnee hatte, musste Matt vor dem Training erst schaufeln: «Aber immer nur hinter der 12,50-Meter-Marke. Wenn die Kugel früher zu Boden ging, war ich selbst schuld, wenn ich sie ausgraben musste.» In den 1980er- und 1990er-Jahren bestritt er Wettkämpfe für den LC Brühl. «So hatte ich Vergleichsmöglichkeiten und konnte an Teamwettkämpfen antreten – sonst hätte  ich keine Medaille von Schweizer Meisterschaften hier», sagt Matt und zeigt in seiner Stube auf die Glasvitrine, in der das Edelmetall glänzt.  Beim LC Brühl mussten zu Matts Zeit die Werfer einmal pro Jahr in jeder Disziplin antreten. «Im Hammerwurf bin ich deshalb in der Bestenliste des KTV Altstätten der Einzige, der überhaupt aufgeführt ist», sagt Matt. Bereits als knapp 20-Jähriger trainierte Roger Matt bereits Athleten. Die Arbeit als Wurftechniktrainer beim KTV Altstätten hat er vor einem Monat beendet: «Es war an der Zeit, nicht mehr jede Woche auf dem Trainingsplatz zu verbringen, ich sagte immer: ‹Wenn ich 60-jährig bin, müsst ihr sagen, dass ich aufhören muss.›»Training war nicht nur für Athleten des KTV AltstättenLea Herrsche, Myriam Mazen­auer und Eva Ulmann waren die erfolgreichsten Kugelstösserinnen, die Roger Matt trainiert hatte. Wobei er immer «nur» das Techniktraining leitete, für andere Inhalte waren andere Trainer zuständig. Mazenauer und Ulmann starteten gar nicht für den KTV Altstätten: «Es war eine Bedingung von mir, dass das Training für alle Athletinnen und Athleten offen ist, die das Niveau haben, sich für die Schweizer Meisterschaften zu qualifizieren.» Vor einem Monat verabschiedete er sich an einem Grillfest von aktuellen und auch einigen ehemaligen Athletinnen und Athleten.So endgültig Matts Rückzug als Trainer auch ist – ein Hintertürchen lässt er sich offen: «Ich wäre zum Beispiel bereit, einen Verein in drei Trainings auf ein Turnfest vorzubereiten, wie ich’s auch schon gemacht habe.» Die Brüder Fabian und Janis Klaiber, talentierte Kugelstösser vom KTV Altstätten, könne er bei Bedarf noch punktuell unterstützen.Aber seine Gegenwart und Zukunft in der Leichtathletik sieht Roger Matt als Schiedsrichter und «Nationaler Technischer Offizieller», diese arbeiten mit Organisationskomitees zusammen, um eine hohe Qualität des Anlasses zu gewährleisten. Zudem arbeitet er in der Kampfrichter-Ausbildung an einem Projekt zur Modernisierung: «Für Turnfeste werden viele Kampfrichter gebraucht – das Problem ist, dass viele schnell wieder aufhören», sagt Matt, «wenn wir sie in der Ausbildung nicht mehr mit Folien überladen, auf denen alle Details aufgeführt sind, können wir die Kampfrichter vielleicht eher begeistern.» Um an einem Turnfest Kampfrichter zu sein, reiche Basiswissen aus: «Da muss man nicht um jede Eventualität Bescheid wissen.»Matt ist Schiedsrichter aus BerufungDass sich Roger Matt auf die Tätigkeit als Schiedsrichter konzentriert, passt zu ihm; es ist ihm auch in anderen Bereichen wichtig, dass alles innerhalb der Gesetze abläuft. «Jede Athletin und jeder Athlet soll dieselben Voraussetzungen haben», sagt er zu seinen Beweggründen. Begonnen hat Matt seine internationale Kampfrichter-Karriere an den Europameisterschaften 2014 in Zürich. Seit fünf, sechs Jahren ist sein Highlight im Schiedsrichter-Jahr der Einsatz am Zehnkampf-Meeting in Götzis.Noch eine Prüfung ist Roger Matt davon entfernt, alle Meetings in Europa inklusive Olympischer Spiele zu arbitrieren. Der entsprechende Lehrgang in Deutschland ist zweimal wegen Corona abgesagt worden, nächstes Jahr soll er wieder angeboten werden. Um sich für die höchste Schiedsrichter-Stufe zu qualifizieren, reicht es freilich nicht, die Prüfung zu bestehen: Die Platzzahl ist beschränkt – je weniger Schiedsrichter aufhören, desto weniger rücken nach.Leichtathleten kennen das: Persönliche Bestleistung reicht auch nicht automatisch zum Sieg, wenn ein anderer einen noch besseren Tag hatte.

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