Monika von der Linden
Georg Changeth ist in Quarantäne. Eine behördliche Aufforderung hat er nach seiner Rückkehr aus Indien am letzten Freitag nicht erhalten. «Ich ziehe mich freiwillig zurück, um niemanden zu gefährden», sagt er am Telefon. Erst wenn der Coronatest ein paar Tage später negativ ausfällt, will er wieder unter Menschen gehen.Der in Widnau lebende Kaplan wollte seine Eltern und Familie besuchen. Als man in seinem Heimatland Indien glaubte, die Pandemie sei so gut wie überwunden, wagte er es Anfang April, nach Thuvayoor im Bundesstaat Kerala – dem Dorf seiner Jugend – zu reisen. Georg Changeths Cousin war schwer an Krebs erkrankt. «Ich konnte ihn noch besuchen, kurz darauf verstarb er.» Die beiden Männer verband die Familie und sie folgten der gleichen Berufung, wurden Priester. «Ich bin froh, dass ich bei seiner Beerdigung dabei sein konnte.»Die zweite Welle bäumt sich immer weiter aufKaum war Georg Changeth in Thuvayoor eingetroffen, nahm das Unheil im Land seinen Lauf. Zuvor hatten Zehntausende Inder an Wahlkampfveranstaltungen oder einem rituellen Bad im Ganges teilgenommen. Ohne Abstand und Schutz. «Die Auswirkungen wurden erst spürbar, als ich schon dort war», sagt der Wahlwidnauer. Von der zweiten, immer noch wachsenden Welle sind besonders grosse Städte betroffen. Viele Menschen können nicht mehr arbeiten, müssen hungern. Die Spitäler und Krematorien sind überlastet. Die Regierungsspitäler sind überfordert, die Hygiene ist miserabel und doch können viele Menschen die Behandlung nicht bezahlen. «Sie suchen Hilfe in Privatspitälern. Doch auch dazu brauchen sie Geld.» Eine Alternative in Thyvayoor ist das St. Vincent’s Hospital mit 50 Betten. Ordensschwestern führen es und behandeln arme Menschen zu niedrigen Tarifen. Auch kleine Dörfer hat die Pandemie erfasst. Weniger wegen vieler Infektionen, sie sind abgeriegelt und die Menschen leiden Hunger. «Wir müssen hier in der Schweiz dankbar sein für unsere Schutzkonzepte», sagt Georg Changeth. In Indien gebe es sie zwar auch. Sie können aber nicht eingehalten werden. «Es sind zu viele Menschen.» Im Land leben etwa 1,4 Mrd., im Bundesstaat Kerala sind es 30 Mio., in Thuvayoor 4000. Ein Verwandter Georg Changeths erzählte ihm von einem jungen Mann, dessen Vater an Covid erkrankt war. Das Geld für ein Taxi fehlte. Also brachte der Sohn seinen Vater per Velo zum zehn Kilometer entfernten Spital. Dort waren so viele Kranke, dass es keinen Sauerstoff mehr gab. «Das ist das grosse Problem. Die Menschen sind ohne Hoffnung.»Zuversicht suchen etwa 98 Prozent der Bevölkerung Thuvayoors in der Kirche. Das erzählte Georg Changeth der Dorfpriester. «Die Schutzkonzepte sind denen in der Schweiz ähnlich.» Die Menschen gehen gestaffelt zum Gottesdienst, die Mesmer putzen und desinfizieren die Räume. Bislang blieb die Zahl der Covidkranken im Vergleich zu anderen Dörfern niedrig. Thuvayoors liegt geschützt auf Hügeln.Zum Glück nicht gestrandetGeorg Changeth ist froh, die Reise unternommen zu haben, obwohl sie ganz anders verlief als geplant. «Ich weiss nicht, wann ich meine Eltern und Familie das nächste Mal sehe», sagt er. Angst hat nicht gehabt. Im November hat er Covid mit mildem Verlauf überstanden. Als Seelsorger, der viele ältere Menschen trifft, hat er bereits vor der Reise die zweite Impfdosis erhalten. Ausserdem trifft er die Menschen stets mit Maske und Abstand. «Ich habe Glück gehabt, dass ich einen Rückflug nach Zürich bekommen habe», sagt er. Das ist zwar nicht ganz leicht gewesen, ist aber am Ende gut gegangen. «Ich bin nicht gestrandet.»Wohlbehalten ist Georg Changeth ins Rheintal zurückgekehrt. Seiner Familie in Indien geht es gut – körperlich wie moralisch. «Wir haben alle Schwierigkeiten, mit der Pandemie zurechtzukommen», sagt er. «In Indien kommen im Vergleich mit der Schweiz die Hungersnot und der Mangel an medizinischem Sauerstoff hinzu.»