06.05.2022

In Au schlagen Ausländerinnen und Ausländer Wurzeln

In keiner Ostschweizer Gemeinde werden mehr Menschen eingebürgert als in der Gemeinde Au.

Von Viviana Troccoli
aktualisiert am 02.11.2022
Klein und unscheinbar befindet sich mitten im Dorfkern der Gemeinde Au in St.Gallen das Gemeindehaus. Die angrenzende Hauptstrasse ist stark befahren, der Verkehr international: Nummernschilder aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Migros, Tankstelle und ein Blumengeschäft säumen die Strasse. Das Dorf wirkt wie eine typische Rheintaler Ortschaft: im flachen Land, umgeben von Bergen, milde Frühlingstemperaturen. Die Einkaufstouristen brausen in Richtung Österreich und wieder zurück.Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass genau dieses Dorf die höchste Einbürgerungsquote der gesamten Ostschweiz aufweist. Die Gemeinde Au hat in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 502 Personen eingebürgert. Jährlich erhielten demnach durchschnittlich 6,4 Personen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern den Schweizer Pass.In den umliegenden Gemeinden liegt dieser Wert in St.Margrethen bei 3,7 Einbürgerungen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner, in Balgach bei 3,9 und in Widnau bei durchschnittlich 4,8. Den tiefsten Wert in der Ostschweiz haben die Gemeinden Hundwil, Mosnang und Sommeri mit lediglich drei bis fünf Einbürgerungen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner. Welche Erklärungen gibt es für die hohe Einbürgerungsquote in Au?Einbürgerungswelle aus den BalkanstaatenGemeindepräsident Christian Sepin äusserte dazu bereits nach Bekanntwerden der Zahlen eine Vermutung: «Vielleicht gefällt es den Menschen einfach in Au. Sie fühlen sich wohl, ziehen deshalb nicht weg und lassen sich irgendwann einbürgern.» Und dazu komme ein praktischer Grund: Würde jemand alle zwei Jahre umziehen, könne diejenige oder derjenige nie ein Einbürgerungsgesuch einreichen, sagt Sepin. Man könne daraus schliessen, dass den eingebürgerten Personen der Ort zusage.         [caption_left: Christian Sepin, Gemeindepräsident von Au. (Bild: Benno B.A. Stadler)]Woher stammen die frisch eingebürgerten Auerinnen und Auer? «Es gibt an und für sich alles», antwortet der Gemeindepräsident. Er vermutet, dass der grösste Teil aus den Balkanstaaten komme. Vor zwanzig Jahren seien sie in grösseren Schüben in die Schweiz eingewandert und hätten sich dann niedergelassen. Die eingebürgerten Personen aus Italien seien bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren in die Schweiz gekommen, viele von ihnen hätten ihre Einbürgerung längst hinter sich.Ländliches Gebiet mit attraktiven ArbeitsplätzenLaut Christian Sepin trägt der FC Au-Berneck 05 mit seinen 450 Mitgliedern spürbar zur Integration der ausländischen Bevölkerung bei. Diese Aussage bestätigt der Präsident des Vereins, Ernst Graf: «Es gibt viele Kinder mit eingebürgerten Eltern, die bei uns Fussball spielen.» Darunter seien Junioren mit Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien und in Afrika. Der Fussball sei ein Mittel für die Jugendlichen, um sich untereinander zu vernetzen und auszutauschen.Die Fachstelle Integration Rheintal mit Sitz Rebstein zeigt sich überrascht über die hohen Einbürgerungszahlen. Ihr sei zwar bekannt, dass es im Rheintal einen hohen Anteil an Personen der zweiten, dritten und vierten Einwanderergeneration gebe, sagt Chantale Beusch, die Integrationsbeauftragte der Fachstelle. Viele von ihnen hätten aber kein Schweizer Bürgerrecht. Das treffe nicht nur spezifisch auf die Gemeinde Au und das Rheintal zu, sondern auf die gesamte Schweiz.         [caption_left:Chantale Beusch, Integrationsbeauftragte der Fachstelle Integration Rheintal. (Bild: Hildegard Bickel)]Auch Beusch hat keine abschliessende Erklärung für die hohe Einbürgerungsquote. Sie vermutet: «Die Kombination aus ländlicher Umgebung und attraktiven Arbeitsplätzen macht es aus.»Beusch verweist auf die grossen Industriefirmen wie etwa den Schienenfahrzeughersteller Stadler, der ein wichtiger Arbeitgeber ist. Dazu komme, dass gerade in ländlichen Gebieten der Wohnraum günstig sei.Monika Schildknecht wohnt seit sechs Jahren in Au, sie ist wegen ihres Partners in die Gemeinde gezogen. «Wir haben ein Haus in guter Lage gesucht und hier passende Angebote gefunden», sagt sie. Von den vielen Einbürgerungen hat sie bislang nichts mitbekommen: «Ich gehe am Morgen arbeiten und komme am Abend wieder», sagt sie. Trotzdem kann sie sich vorstellen, was Au so attraktiv macht. Die Verkehrsanbindungen zur Stadt St.Gallen seien ideal, die Ortschaft steuergünstig und in einigen Quartieren relativ günstiger Wohnraum zu finden. Dazu kommt der Einkaufstourismus: «Die Nähe zu Österreich spielt sicherlich eine Rolle.» Vor dem Gemeindehaus stehen Sina und Gaetano Termine – sie machen einen kurzen Halt auf ihrem täglichen Spaziergang. Das Ehepaar ist vor 55 Jahren in die Schweiz gekommen und nun in Au wohnhaft. Eingebürgert sind sie nicht, zu ihrer italienischen Heimat fühlen sie sich nach wie vor stark verbunden.Die vielen Arbeitsplätze in Fabriken hätten sie damals in die Schweiz gebracht. Da ein Teil der Familie in Österreich wohnhaft ist, ist die Grenznähe sehr wichtig für die beiden. Die 75-jährige Sina Termine sagt: «In der Zeit, in der ich gearbeitet habe, haben viele Italiener in unserem Quartier gewohnt. Heute sind es viel weniger.»Dies verdeutlichen Zahlen des Bundesamtes für Statistik, die zeigen, dass von 502 eingebürgerten Personen in Au (SG) in den letzten zehn Jahren 310 Personen aus europäischen Nicht-EU-Staaten und 157 aus EU-Ländern kamen. Am häufigsten eingebürgert wurden Personen aus Serbien (111), dem Kosovo (58), Bosnien und Herzegowina (55), Nordmazedonien (52), Deutschland (48) und Italien (42).

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