16.05.2018

Im Überlebensmodus

Jolanda Neff ist ein Wirbelwind, der am Liebsten alles machen würde. Im Winter wurde es ihr jedoch zu viel. Um an der Heim-WM in Lenzerheide eine Chance zu haben, musste die 25-jährige Rheintalerin umdenken.

Von Raya Badraun
aktualisiert am 03.11.2022
Mountainbike Es war Mitte November 2017, als Jolanda Neff den Swiss Cycling Award bekam. An der Veranstaltung blieb sie jedoch nur kurz. Denn an jenem Abend war sie nicht nur Mountainbikeprofi. Sie war vor allem auch Studentin. Und zu Hause, da wartete ein Essay auf sie, das sie noch beenden musste. Also nahm sie den Preis in Empfang, um gleich danach aufzubrechen. Am Ende sass sie in jener Nacht bis um zwei Uhr an ihrem Computer. «Das muss man sich einmal vorstellen», sagt Neff. Die Hausarbeit stand ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Sie hatte jede freie Minute genutzt. Am Ende musste sie den Text dennoch in der Nacht vor dem Abgabetermin fertig schreiben. Da hat sie eine erste Ahnung davon bekommen, dass es so nicht weiter gehen kann.Neff ist eine Frau, die gerne alles tun würde. Ein fröhlicher Wirbelwind, für den es scheinbar keine Grenzen gibt – oder besser: gab. Im Olympia-Jahr startete die Mountainbikerin zusätzlich in Strassenrennen und qualifizierte sich auch dort für den Grossanlass in Rio de Janeiro. Kurz nach den Sommerspielen wurde aus der vielseitigen Profisportlerin schliesslich auch noch eine Teilzeit-Studentin: Geschichte, Französisch und Englisch. «Es hat mir damals ein Stück weit das Leben gerettet», sagt Neff. Neben dem Sport hatte sie nun auch eine Beschäftigung für den Kopf. Und wahrscheinlich lenkte sie der Gedanke ans Studium auch ein Stück weit ab – von den Schmerzen im Rücken, die sie damals plagten, und den enttäuschenden Resultaten in jener Saison.Um sechs Uhr morgens zum TrainingNeff findet es nach wie vor der richtige Schritt. Und für eine junge Athletin sei es das Beste, was man machen könne. Doch die Rheintalerin ist nun an einem anderen Punkt. Im Januar feierte sie ihren 25. Geburtstag. Zweimal gewann sie bisher den Gesamtweltcup und im vergangenen Herbst wurde sie in Australien Weltmeisterin. Neff war mit ihrer extrovertierten, lockeren Art schon vorher ein Aushängeschild. Doch nun, mit dem Titel, sind die Anfragen für Interviews und Anlässe «explodiert». Da ein Fotoshooting, dort ein Sponsorentermin. Es geht ja nur eine halbe Stunde, ganz schnell. «Es geht immer nur kurz», sagt Neff. Ihr Terminkalender jedoch füllte sich. Sie versuchte zwar, die Balance zu finden und möglichst viele Anfragen abzusagen. Doch es gibt eben auch solche, die sie wahrnehmen muss. «Auch weil man die Leute nicht enttäuschen möchte», sagt Neff. Zum Training und den Vorlesungen an der Universität Zürich kamen so drei bis vier Veranstaltungen pro Woche dazu.Irgendwann im Gespräch lässt sie das Wort «Überlebensmodus» fallen. Es tönt drastisch. Doch Neff lief zu jenem Zeitpunkt am Anschlag. Ihr fehlte Erholung und Schlaf. Sie schaffte es nicht mehr, «die Sachen für die Uni richtig zu machen». Was sie jedoch noch viel mehr nervte: Ihr fehlte die Zeit, um das Training in dem Umfang zu betreiben, indem sie es wollte und auch brauchte, um die Beste zu sein. Es kam nicht selten vor, dass sie am Morgen um sechs Uhr aufstand, um vor den Vorlesungen noch zu trainieren. Oder dann fuhr sie abends spät los, wenn es draussen schon dunkel war. «Das macht mir eigentlich nichts aus», sagt Neff. «Hätte ich jedoch den ganzen Tag Zeit gehabt, wäre ich doppelt so lange unterwegs gewesen.»Zurück im RheintalIm Winter musste Neff feststellen: «So geht es nicht weiter.» Weder für das eine noch für das andere fand sie genügend Zeit. So entschied sie sich, ein Feriensemester einzulegen – und vorübergehend wieder ganz Profi zu sein. Die Entscheidung hing auch mit der WM in Lenzerheide zusammen, die Anfang September stattfinden wird. Neff tritt dort als Titelverteidigerin an. «Ich wollte mir die Chance geben, mich so gut wie möglich darauf vorzubereiten», sagt Neff.Seit dem Winter verbringt sie kaum mehr Zeit in Zürich, wo sie normalerweise in einer Wohngemeinschaft lebt. Sie ist eigentlich «mega gerne» dort. Doch für das Training eignet sich das Rheintal besser. So wohnt Neff wieder in Thal, wo sie aufgewachsen ist, die Strassen und Waldwege kennt und Freunde hat, mit denen sie trainieren kann. Den Umfang hat sie in der Zwischenzeit wieder deutlich erhöht. So macht sie nun fast so viel, wie sie sich das vorstellt. «Aber dass ich jetzt einen Haufen Freizeit hätte, ist immer noch nicht der Fall», sagt Neff. Die vielen Anfragen sind geblieben – gerade wegen der Heim-WM.

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