20.10.2022

Im Notfall glühen hier die Drähte

Ob bei Strommangel, nuklearer Katastrophe oder Überschwemmung: Im Notfall beginnt im Kommandoposten des Führungsstabs Unteres Rheintal die Arbeit.

Von Yann Lengacher
aktualisiert am 02.11.2022
An einem Hang, wo kein Hochwasser hinkommt, hinter Mauern, die keine radioaktive Strahlung durchlassen, da ist der Computer von Markus Bänziger, der auch bei Strommangel noch hochfährt. Im Katastrophenfall arbeitet der Chef des Regionalen Führungsstabs Unteres Rheintal  hier. Hier im Kommandoposten, an einem Ort in Balgach, der zwar nicht geheim, aber offenbar vertraulich genug ist, um ihn nicht im Internet preiszugeben.Nach einem kurzen Händedruck führt Bänziger ohne Umschweife durch die Sicherheitsschleuse. Gleich links neben dem Eingang hängen die Personalausweise aller, die im Ernstfall zugangsberechtigt sind. Die Stabsmitglieder verfolgen im Katastrophenfall – relativ unabhängig von der Art – zwei Hauptaufgaben: Sie koordinieren zwischen Feuerwehr, Militär Zivilschutz und Behörden. Und sie warnen und informieren die Bevölkerung. Der Führungsstab funktioniert im Milizsystem. Die 21 Mitglieder haben zwar ein kleines Fixpensum, sind aber alle berufstätig. Ein grosser Teil ihres Einsatzes basiert auf freiwilligem Engagement.Bänziger ist hauptberuflich Architekt und dient im Militär als Oberst. Er übernahm 2020 die Leitung des Führungsstabs UR. Seit er diesen Job macht, halten Krisen die Welt und das Rheintal in Atem. Für den Balg­acher bedeutet dies mehr Ar­beit. Er hat sich daran gewöhnt: «Das Telefon klingelt oft. Zum Beginn der Pandemie war es aber schlimmer», sagt er.Politiker werden in der Krise zu KommandantenWer die Personalausweise beim Eingang betrachtet, entdeckt die Namen von Silvia Troxler, Bruno Seelos oder Christian Sepin. Im Krisenfall stehen die sechs Unterrheintaler Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten im Einsatz und müssen: Entscheiden.«Sie bestimmen, wann die Bevölkerung evakuiert wird. Im Militär wären die Gemeindepräsidenten die Kommandanten», sagt Bänziger. Der Stab analysiert die Lage laufend, nimmt aber nur eine beratende Rolle ein. Handeln die Politi­ker immer so, wie die Stabsleu­te empfehlen? Bänziger: «Wir hatten Übungen, bei denen nicht alle Gemeindepräsidenten gleich entschieden haben.» Der Ernstfall sei nochmals eine andere Situation, gibt Bänziger zu bedenken.Auch für Strommangel und Blackout gerüstetDer Kommandoposten hat alles, um 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche in Betrieb zu sein. Im  hinteren Bereich finden sich metallene Kajütenbetten, die genug Platz für den Stab, aber wenig Komfort bieten. In ei­ner Industrieküche mit voluminösen Töpfen kann der Zivilschutz kochen. «Ohne Mampf kein Kampf», merkt Bänziger an.Schnell einmal führt er weiter zum «Herzstück» des Kommandopostens: Zum Informationszentrum. Von hier kommuniziert der Führungsstab mit Blaulichtorganisationen, Militär und Zivilschutz, informiert auch die Medien über die aktuelle Lage. «In der Krise gibt es nichts Schlimmeres, als wenn die Leute keine Informationen haben», sagt Bänziger. Ohne Informationen verbreitet sich Panik schneller. Auch eine Evakuation ist leichter, wenn die Leute wissen,  wo sie hin müssen.Das Informationszentrum sieht unspektakulär aus: Da sind zwei Arbeitsplätze mit je einem Telefon und Headset. Die Mitglieder des Führungsstabs nutzen zudem die sogenannten Polycom-Funkgeräte. Diese sind über ein eigenes Funknetzwerk miteinander verbunden. Der Führungsstab verwendet sie auch, um mit dem Personal bei den Notfalltreffpunkten zu kommunizieren. Im Rheintal gibt es insgesamt 21 Notfalltreffpunkte, elf davon im unteren Rheintal. Funkgeräte, Telefone und der ganze Kommandoposten sind auch in einer Mangellage mit Strom versorgt. Bei Energiemangel rationiert der Bund den Stromverbrauch für Wirtschaft und Privatpersonen: Während festgelegten Zeiten würde der Strom abwechselnd in unterschiedlichen Teilen des Rheintals gekappt.Beim Gang durch den Kommandoposten fällt auf: An den Wänden hängt viel Papier. Landkarten, Organigramme, Pläne für unterschiedliche Krisenphasen. In den Regalen stehen Ordner. Alle Konzepte, die Bänziger je geschrieben hat, existieren irgendwo auf Papier. Beim 52-Jährigen ist ein Restmisstrauen gegenüber «der Kiste» – dem Computer – zu spüren. Ein Misstrauen, das es in seiner Position vielleicht braucht.Doch selbst bei einem grösseren Stromausfall läuft im «Balger» Kommandoposten der Betrieb. Im Fall eines Blackouts geht ein Notaggregat ans Netz, das mit Diesel Strom erzeugt. Den Kommandoposten versorgt es eine Woche lang mit Elektrizität. Danach muss getankt werden. Eine weitere Sicherheitsschicht: Die Computer des Stabs arbeiten mit einem System, das selbst ohne aktive Internetverbindung (auch die braucht Strom) noch nutzbar ist. Wenn auch in eingeschränktem Mass. Die Swissgrid AG, die das Schweizer Stromnetz betreibt,  geht davon aus, dass bei einem grösseren Störfall das Netz nach rund 24 Stunden wieder in Betrieb ist. Ein Blackout hätte laut Bänziger einen einzigen Vorteil: «Weil dann die Wirtschaft stillsteht, könnte der Zivilschutz mit Sicherheit genug Personal aufbieten.»Hochwasser am wahrscheinlichstenDer Führungsstab UR probt im Kommandoposten regelmässig Katastrophenszenarien. Geübt wird Waldbrand wie Wassermangel. Nach Ende der Pandemie-Hochphase haben Bänziger und sein Team den Fokus auf die Strommangellage gesetzt. «In einer solchen Situation nähmen wir die Notfalltreffpunkte in Betrieb. Dies, damit sicher im ganzen Rheintal Notrufe möglich sind», sagt Bänziger und fügt an: «Wirklich viel tun können wir sonst nicht. Bei einer Energiemangellage muss jede und jeder mit dem verfügbaren Strom auskommen. Es liegt am Einzelnen, sich auf ein solches Szenario einzustellen.» Vorbereitet sei man auch auf den Fall einer nuklearen Katastrophe, sagt Bänziger. In der Schweiz gibt es für alle einen Platz in einem Schutzraum. Der Kanton würde jeder Person ei­nen Schutzraum zuweisen. Die entsprechende Liste sei vor Kurzem aktualisiert worden, sagt Bänziger. Der Führungsstab würde die Verteilung der Bevölkerung auf die Schutzräume in der Region leiten. Ob es genug Jodtabletten für alle hat? «Wir haben zwei Paletten Jodtabletten. Es wird für jede und jeden genug Jodtabletten haben», sagt Bänziger.In der nahen Vergangenheit beschäftigten vor allem Hochwasser den Führungsstab. Alleine zwischen 2013 und 2017 stand der Führungsstab viermal wegen Überschwemmungen im Einsatz. Im Lagezentrum des Kommandopostens hängt eine Karte, die das Ausmass einer grösseren Überschwemmung im unteren Rheintal zeigt. Im Fall eines solche Ereignisses müssten 10000 Personen evakuiert werden, weitere 20000 das Gebiet selbst verlassen. Der Sachschaden für Bevölkerung und Wirtschaft betrüge rund zwei Milliarden Schweizer Franken.Dieses Szenario könnte Realität werden, wenn der Rheindamm bricht. «Das ist nach wie vor eine akute Bedrohungen für das Rheintal», sagt Bänziger.Hinweis: Auf warnung-rheintal.ch warnen die Führungsstäbe des unteren und des oberen Rheintals vor Katastrophenfällen und informieren laufend zu unterschiedlichen Gefahren.

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