Aus christlicher Sicht 01.10.2023

Im Nebel das eigene Leben erforschen, die Augen schliessen, nach innen hören

Ich liebe es, im Nebel auf einer Bank zu sitzen. Schauen, die feuchte Luft auf der Wange spüren und einatmen. Die Augen schliessen. Nach innen hören.

Von Philipp Hautle,
Rebstein
aktualisiert am 01.10.2023

Melodien steigen auf. Begleitet von einer Flut von Gedanken, Bildern, Gefühlen. Traumfetzen. Fragen. Erinnerungen an glückliche Stunden, an Erschütterungen, an wunderbare Begegnungen. Wünsche und Sehnsüchte, Träume und Visionen, Trauer und Wut, Hoffnungen, Überzeugungen, Momente der Ergriffenheit, Ahnungen, die sich erfüllten. Vielfältige Stimmungen wie in einem Orchester.

Ich staune über mich selbst. Ich bin und bleibe mir selbst ein Geheimnis. Und die anderen Leute sind es noch mehr.

Halboffene Augen. Im Nebel schimmert Licht durch. Licht. Meine Reise nach innen geht weiter. Lichterfahrungen.

Unbekümmert erzählen heilige Schriften aller Religionen von Erleuchtungen, Erscheinungen, göttlichem Licht, göttlichen Eingebungen, Offenbarungen, Träumen, Visionen, Gottesbegegnungen.

Heute noch – auch ich – nennen sich viele Leute Kinder Gottes. Heute noch reden viele von Gott. Gott wohnt in mir. Gott wirkt in mir und durch mich. Es sind nicht immer nur leere Worte. Viele verbinden Gott mit speziellen und intimen Erlebnissen und Erfahrungen. Momente, in denen ihnen ein Licht aufgegangen ist, in denen sie unmissverständlich und unvergesslich angesprochen wurden? Erfahrungen, in denen das Leben als Geschenk erlebt wurde. Umwälzende, unvergessliche Erfahrungen, die für immer geprägt haben. Ahnungen, was mit Gott gemeint sein könnte.

Mir kommt meine Lieb­lingsarie aus Mendelssohns «Paulus» in den Sinn; «Gott sei mir gnädig, nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner grossen Barmherzigkeit. Nimm deinen Geist nicht von mir». Was für eine Erfahrung vor Damaskus, was für ein Umsturz war das für Paulus. Ihm, der die Jesusanhängenden als Spinnende betrachtete und sie verfolgte, ausgerechnet ihm ist dieser gekreuzigte Jesus erschienen.

Seit meiner Jugend fasziniert, fesselt mich diese Geschichte. Sie öffnet Fragen, Dimensionen, die den ganzen Kosmos übersteigen.

Ich öffne die Augen. Schaue hinein in den Nebel. Wir sind und bleiben mit all unseren unterschiedlichen Erfahrungen uns selbst ein Geheimnis, eingebettet im unvorstellbar weiten Universum, eingenebelt vom allumströmenden geheimnisvollen Licht. – Vielleicht setzen auch Sie sich an einem nebligen Herbsttag auf eine Bank und lauschen hinein, was da in Ihnen alles lebt.

 


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