24.02.2021

«Im Mai muss ich in Topform sein»

Der bald 32-jährige Thomas Litscher möchte sich in den ersten zwei Weltcups für die Olympischen Spiele in Tokio qualifizieren.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Mountainbike  Wenn sie das 30. Lebensjahr überschritten haben, werden Leistungssportler oft nach dem Zeitpunkt ihres Rücktritts gefragt. Nicht nur, aber vor allem von neugierigen Journalisten. Thomas Litscher verschonte ich nicht mit dieser Frage. «Ich habe Spass und die Leistungen stimmten in den letzten zwei Jahren. Solange dies so bleibt, denke ich nicht ans Aufhören», sagt er, «ich bringe mehr Watt in die Pedale als früher.» Andere Biografien zeigen, dass Mountainbiker oft erst in für Sportler fortgeschrittenem Alter ihren Zenit erreichen. Ein Beispiel ist der um ein Jahr ältere Mathias Flückiger, der erst seit zwei Jahren regelmässig in die Weltspitze fährt.Aber Thomas Litscher weiss: «Wenn ich keine Resultate liefere, kann meine Karriere schnell vorbei sein, weil ich keinen Profivertrag mehr bekomme.» In der letzten, wegen Corona zumindest auf internationaler Ebene kurzen Saison, reichten die Resultate des früheren U23-Weltmeisters für ein neues Arbeitspapier: Er bleibt ein weiteres Jahr beim französischen Team KMC-Orbea, für das er seit 2019 fährt. «Ich fühle mich wohl im Team und bin dankbar, dass ich bleiben kann», sagt Litscher.Neuer Vertrag dank guten Leistungen in Nove MestoEntscheidend dafür war sein Auftritt an den zwei Weltcup- Wochenenden in Nove Mesto, namentlich im zweiten Short Race, in dem er als Zweiter erstmals im Weltcup aufs Podest fuhr. Aber auch seine Leistungen in der bedeutenderen Disziplin Cross Country dürften den neuen Vertrag begünstigt haben: Zusammen mit den Kollegen Victor Koretzky (Fra) und Milan Vader (NL) gewann der Teamsenior an beiden Wochenenden die Mannschaftswertung. «Wir haben eine gute Stimmung im Team», freut sich Litscher schon auf die nächste Saison mit hoffentlich umfangreicherem Rennprogramm.Aber sicher ist das nicht, sondern wie alles seit einem Jahr, vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängig. Die ersten Frühjahrsrennen sind bereits verschoben worden, darunter auch der Swiss Cup in Schaan. Am 28. Februar steht gleichwohl das erste Rennen auf dem Programm, die Copa Catalana in Banyoles (Spanien).Dass dieser Einsatz nun endlich feststeht, freut den Thaler: «Wenn ich ein konkretes Ziel vor Augen habe, fällt mir das Training leichter. Ist das Programm nur provisorisch, ist auch die Formsteuerung schwieriger.» Klagen möchte er indes nicht: «Im Gegensatz zu Gastronomen kann ich wenigstens meinen Beruf noch ausüben.» Auch der Lohn kam letztes Jahr verlässlich, wegen fehlender Rennen gab’s aber weniger Prämien. Ein Schweizer Mountainbiker, der knapp hinter der Weltspitze fährt, wird nicht reich. «Aber es reicht zum Leben», sagt Litscher, «auch weil ich viele lokale Sponsoren habe, die mich zum Teil schon seit vielen Jahren unterstützen und mir auch während Corona treu bleiben.» [caption_left: Thomas Litscher: «Ich bin gelassener geworden. Früher versteifte ich mich, wenn es nicht lief. Auch deshalb wurde ich oft krank.».  Bild: ys]Nur noch ein Startplatz aus eigener Kraft zu ergattern«Wenn der Rennkalender so bleibt, wie er derzeit ist, muss ich im Mai in Topform sein», sagt Thomas Litscher. Denn dann finden innert einer Woche zwei enorm wichtige Weltcuprennen statt: Am 9. Mai in Albstadt und am 16. Mai in Nove Mesto geht es für die Schweizer Mountainbiker um die Qualifikation für die Olympischen Spiele. Dieses Rennen wird am 27. Juli in Tokio durchgeführt, wenn Olympia überhaupt stattfindet. «Ich möchte einmal in meiner Karriere an Olympischen Spielen starten», sagt Litscher.In jedem anderen Land, abgesehen von Frankreich, hätte ein Fahrer mit Litschers Leistungsausweis schon zweimal an Olympischen Spielen starten können. Aber in der Schweiz hat’s für drei Startplätze mehr als doppelt so viele valable Kandidaten. «An Olympia sind immer etwa die gleichen dabei: Früher Christoph Sauser, Ralph Näf und Florian Vogel sowie natürlich immer wieder Nino Schurter», sagt Litscher, «es wäre schön, wenn es mal einen Wechsel gäbe – natürlich mit mir im Aufgebot.»Zurzeit ist noch kein Athlet selektioniert, aber zwei haben einen Bonus: Wenn sich der amtierende Olympiasieger Schurter und der aktuelle WM- und EM-Medaillengewinner Mathias Flückiger in den zwei Weltcups einigermassen bestätigen,  werden sie wohl auch in Tokio starten. Da bliebe noch ein Platz frei, um den sich Litscher, Lars Forster, Lukas Flückiger, Filippo Colombo und vielleicht noch weitere Fahrer bewerben. Jeder von ihnen kann an einem guten Tag aufs Podest fahren, aber keiner fährt konstant auf hohem Niveau. Um sich gegen diese Konkurrenz zu behaupten, ist Topform für Litscher die Mindestanforderung.Die olympische Premiere könnte einen goldenen Karriereherbst des einstigen Supertalents einleiten, der in seiner Karriere oft von Verletzungen und Krankheiten geplagt wurde. «Meine guten Resultate in den letzten zwei Jahren habe ich auch der Tatsache zu verdanken, dass ich in dieser Zeit keine Verletzungen hatte», sagt Litscher. Die Erkenntnis überrascht nicht. Selbst in seinen Seuchenjahren gelangen Litscher sporadisch Topresultate, sobald er gesundheitlich auf der Höhe war. «Ich bin gelassener geworden. Früher versteifte ich mich oft, wenn es nicht lief», sagt er. Der Stress machte ihn gesundheitlich anfällig: «Eine Krankheit wie die Gürtelrose (unter der Litscher 2014 litt, d. Red.) kommt nicht von ungefähr.»Die WM-Bronzemedaille 2017 in Australien hat wesentlich zur Entspannung Thomas Litschers beigetragen. Ohne diese Medaille hätte der einstige KV-Lehrling Litscher wohl schon vor dreienhalb Jahren einen Bürojob suchen müssen. Schon ein Jahr vorher war Litschers Karrierenende nahe. Um weiter fahren zu können, schloss er sich dem damaligen Nachwuchsteam jb-Brunex an, wo er mit der WM-Medaille seine letzte Chance nutzte.Länger durchgehalten als Konkurrenten von früher Am 2. September 2011 wurde Thomas Litscher in Champéry U23-Weltmeister. «Ich dachte damals, dass ich schon lange Mountainbike fahre», sagt Litscher. Dass seit diesem Titel zehn Jahre vergangen sind, empfindet Litscher als surreal: «Mir kam die Zeit dazwischen viel kürzer vor.» Der Beruf Mountainbike-Profi gefällt dem Thaler immer noch: «Ich empfinde es als Privileg, den Sport zum Beruf machen zu können. Und ich bin stolz darauf, dass ich schon so lange durchgehalten habe. Fast alle Konkurrenten, die ich im Nachwuchs hatte, haben inzwischen aufgehört.»Ein Blick zurück auf die WM-Rangliste von 2011 stützt diese Aussage: Mit beträchtlichem Rückstand gewannen damals Marek Konwa (Polen) und Henk Jaap Moorlag (Niederlande) die weiteren Medaillen. Beide konnten sich im Weltcup nie etablieren und sind inzwischen von der Bildfläche verschwunden.

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