12.09.2022

«Im August hätte man geflutet»

Hochwasserschutzprojekt Binnenkanal: Kein Nutzen, aber hohe Lasten für die Ortsgemeinden Berneck und Balgach. Deren Präsidentin Bettina Lüchinger und Präsident Albert Weder wünschen sich mehr Entgegenkommen.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 02.11.2022
Das Hochwasserschutzpro­jekt Rheintaler Binnenkanal ist ein Bauwerk für Generationen. Entsprechend ist es ausgelegt auf ein Jahrhundertereignis: 700000 m3 Wasser könnten bei den «Drei Brücken» mit dem geplanten Drosselbauwerk und den Dämmen entlang der Rietstrasse in Balgach zurückge­halten werden. Industrie- und Wohnquartiere in Widnau und Au würden damit vor Überflutungen geschützt, wie sie in den letzten dreissig Jahren bereits dreimal vorkamen – wobei davon nur ein Hochwasser einem hundertjährigen Ereignis entsprach. Im 44-Millionen-Franken-Projekt sind weitere Massnahmen Kanal-abwärts enthalten, und es sind Aufwertungen für Naherholungsraum und Ökologie geplant.Das Projekt mit vielen Nutzniessenden kennt aber auch Verlierer. Die Bodenbesitzenden, die Land abtreten müssen, und die Pächter, deren Land im Hochwasserfall überflutet wird. Besonders betroffen sind die beiden Ortsgemeinden Balgach und Berneck. Ihnen gehört ein grosser Teil des Bodens, der abgetreten werden muss, und fast ausschliesslich ihr Gebiet würde überflutet. Das Projekt bringt ihnen, respektive ihren Pächtern, viele Nachteile und ihren Ortsbürgerinnen und Ortsbürgern  keine Vorteile. Bettina Lüchinger, Ortsgemeindepräsidentin Berneck, und Albert Weder, Ortsgemeindepräsident Balg­ach, finden, als Tragende der Lasten hätten sie von den Nutzniessenden mehr Entgegenkommen verdient. 47000 m2, also 4,7 Hektaren Land müssen für das Projekt abgetreten respektive verkauft werden. Das entspricht etwas mehr als sechs Fussballspielfeldern. Wie viel davon betrifft Boden Ihrer Ortsgemeinden?Bettina Lüchinger: Wir sind gezwungen 11000 m2 zu verkaufen. Sie werden vor allem für die Ausweitung von Binnenkanal und Rietaach, Ökofläche und Naherholungsraum gebraucht, nicht direkt für den Hochwasserschutz. Für drei Pächter bedeutet dies einen Landverlust.Albert Weder: Für uns ist es mit 1,3 Hektaren sogar noch etwas mehr. Land, das für die Landwirtschaft für immer verloren ist. Betroffen sind vier Pächter. Noch stärker trifft es die Pächter, wenn das Land durch den Einsatz des Drosselbauwerks geflutet wird?Weder: Das heisst dann für neun Pächter, fast 60 Hektar Land unter Wasser. 35000 m2 gehö­ren der Ortsgemeinde Balgach, 24000 m2 Berneck. Im Zuge des Projekts wird aber auch die Entwässerung der Böden erneuert und verbessert. Zudem das Pumpwerk ersetzt und damit die Abpumpkapazität vervielfacht. Ist das insgesamt nicht eine Verbesserung?Weder: Das Land ist in Kompartimente unterteilt, die gestaffelt überflutet werden. Für die hinteren Böden mag die Erneuerung der Drainagen sogar eine Verbesserung sein. Für das erste und mit Abstand grösste Kompartiment sicher nicht. Wie schnell man das Wasser dann von diesem stark saugenden Torfboden wirklich wegbringt, wird sich weisen. Klar ist, steht es lange, hat dies bis zu drei Jahre Mindererträge zur Folge. Zudem wird dieses Land künftig wohl häufiger überflutet werden. Bei den starken Regenfällen Ende August hätte das Drosselbauwerk bereits Wasser auf diese Böden umgeleitet.In den Verträgen sind bei Überschwemmungen Entschädigungen vorgesehen. Bisher mussten sich die Landwirte gegen Schäden selbst versichern. Das ist doch eine Verbesserung? Weder: Die Entschädigungen sind geregelt, trotzdem kann der Landwirt Geld verlieren. Beispielsweise ist nicht klar, was passiert, wenn aufgrund eines Hochwassers in der Folgezeit der Ertrag auf den betroffenen Flächen geringer ausfällt. Der Boden verliert auf alle Fälle an Wert. Auch ohne Drosselbauwerk standen die Böden in den letzten zehn Jahren dreimal unter Wasser, nur eben breitflächiger verteilt.Lüchinger: Es geht nicht nur ums Geld. Bauernfamilien leben von ihrem Boden und bewirtschaften ihn mit Herzblut. Wenn nun immer wieder die Ernte vernichtet wird, ist das frustrierend, und der Boden ist für Landwirte nicht mehr interessant. Ein Bauernbetrieb ist ein komplexes Wirtschaftsgefüge. Oft binden Verträge auf Jahre hinaus Kapital. Wird einfach Land weggenommen oder werden gewisse Parameter verschoben, kann das schnell Existenzen gefährden.  Wollen Sie nun das gesamte Projekt blockieren, indem Sie die RBK-Verträge nicht unterschreiben?Lüchinger: Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir weder gegen das Projekt sind, noch es verhindern möchten. Wir setzen uns hier für unsere Pächter und deren Existenz ein. Und als diejenigen, die nur Lasten und keinen Nutzen haben, würde man etwas mehr Kulanz und Entgegenkommen erwarten.Weder: Ich kann mich dem nur anschliessen. Am Anfang tönte alles super, und dann stellt man fest, dass man auf allen Ebe­nen Gegensteuer geben muss. Ein Beispiel ist unsere 1996 in der Nähe des Kleinkaliberstands eröffnete Brücke über die Riet­aach, deren Bausubstanz wir kürzlich abklären liessen und die noch in bestem Zustand ist. Im Zuge der Aufweitung der Rietaach, das ist ein Teil des Hochwasserschutzprojekts, hiess es nun auf einmal, von den 600000 Franken Baukosten für eine neue Brücke müsst ihr 380000 Franken übernehmen. Dazu sind wir natürlich nicht bereit. Insgesamt glaube ich aber, dass wir mit den Verantwortlichen für das Projekt auf guten Wegen sind und uns mit einigen Nachbesserungen finden können.Die vorhin behandelten Punkte betreffen den Zweckverband. An der Informationsveranstaltung über das Hochwasserschutzprojekt störten Sie sich am Desinte­resse der Widnauer und Auer Ortsgemeindevertreter.Weder: Von politisch Au war Gemeindepräsident Christian Sepin dort. Von Widnau habe ich gar niemanden gesehen. Das fand ich sehr befremdlich, denn schliesslich wird das Projekt in erster Linie realisiert, damit die Widnauerinnen und Widnauer keine nassen Füsse mehr bekommen. Wie dort gesagt, haben wir uns letztmals im Juni mit Ortsgemeindevertretern von Widnau getroffen und seither nichts mehr gehört. Damals angedacht war ein Teil-Landabtausch der Hochwasser-Rückhaltegebiete der Ortsgemeinde Balgach mit der Ortsgemeinde Widnau im Verhältnis 2:1. (siehe dazu die Stellungnahme von  Karl Köppel, Ortsgemeindepräsident Widnau, im Zweittext).Lüchinger: Wir von Berneck verhandeln diesbezüglich mit Vertretern der Ortsgemeinde Au. Zurzeit warten wir aber noch auf die Ergebnisse von Balgach und Widnau, zumal wir noch keine Fläche definiert haben.Sie würden also gerne vorwärts machen?Weder: Die Verträge sind uns bereits zugeschickt worden. Die Projektverantwortlichen kündigten an, dass das Projekt im April 2023 öffentlich aufgelegt werden soll. Um dann bereit zu sein, gibt es noch einiges zu klären, sonst können wir die Verträge nicht unterschreiben.Bis Ende September läuft noch das Mitwirkungsverfahren. Informationen finden sich hier.  Zweittext:«Wir arbeiten an einer Lösung»«Wir sind in den nächsten Wochen so weit, dass wir mit konkreten Vorschlägen auf die Balg­acher Ortsgemeindevertreter zugehen können – wir arbeiten an einer Lösung», sagt Karl Köppel, Präsident der Ortsgemeinde Widnau. Auch für diese Ortsgemeinde habe das Projekt Konsequenzen und es gebe manch eine Kröte zu schlucken. Die Widnauer Ortsgemeinde müsse ebenfalls Land abtreten, und auch Teile ihres Landes würden im Hochwasserfall überschwemmt. Köppel weiter: «Was den Landabtausch betrifft, ist klar, dass die Verhandlungen etwas Zeit brauchen. Schliesslich sind auch bei uns Pächter betroffen, die nun ihr jahrelang bewirtschaftetes Land aufgeben respektive abtauschen sollen.» Dazu müssten eben auch die Verträge vorgesehen, genau angeschaut und gewisse Punkte noch geklärt werden. Diesbezüglich hoffe er, dass man mit den benachbarten Ortsgemeindevertretern am gleichen Strick ziehen könne. Was Berneck betreffe, profitiere es im Hinblick auf bessere Abflussbedingungen für den Littenbach auch vom Hochwasserschutzprojekt. «Für das Land in den Rückhalteräumen gibt es übrigens nicht nur Nachteile. Es kann nach Beendigung der Arbeiten nicht nur besser entwässert werden, das Wasser kann auch besser zurückgehalten werden. Das kann in Trockenzeiten – und auch die nehmen zu – ein Vorteil sein, weil sich damit das Land sogar noch besser bewirtschaften lässt», betont Karl Köppel. 

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