Urteil 19.07.2024

Ihm drohte eine Verurteilung wegen Betrugs und ein Landesverweis: So urteilte das Gericht

Der früher in St. Margrethen wohnhafte Emir Tahirovic wehrte sich gegen den Vorwurf des Sozialhilfebetrugs und der Verletzung der Erziehungs- und Fürsorgepflichten. Und erhielt vom Kantonsgericht einen Freispruch.

Von pd/red
aktualisiert am 19.07.2024

Das Kantonsgericht St. Gallen hat das aus Bosnien und Herzegowina stammende Ehepaar Tahirovic «vollumfänglich freigesprochen». Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verurteilung hätten nicht vorgelegen, heisst es in der Medienmitteilung des Kantonsgerichts von Freitagmittag. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen Betrugs gefordert. 

Seit elf Jahren die Gerichte beschäftigt

Das Ehepaar und seine fünf Kinder hatte unter anderem von Herbst 2012 bis Dezember 2016 in St. Margrethen Sozialhilfe bezogen. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte das Paar, finanzielle Zuwendungen von Verwandten und Dritten nicht gemeldet und dadurch zu hohe Sozialleistungen bezogen zu haben. Zudem wurde ihnen vorgeworfen, ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht verletzt zu haben, da die Tochter nicht am Schullager und Sportunterricht teilnahm und sowohl die Tochter als auch der Sohn den Schwimmunterricht versäumten.

Ehepaar ging in Berufung gegen Kreisgerichtsurteil aus 2021

Das Kreisgericht Rheintal sprach das Paar am 2. September 2021 vom Betrugsvorwurf frei, verurteilte sie jedoch wegen unrechtmäßigen Bezugs von Sozialleistungen und Verletzung der Fürsorgepflicht. Der Ehemann erhielt eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, die Ehefrau eine bedingte Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Beide wurden zudem für fünf Jahre aus der Schweiz verwiesen. Gegen dieses Urteil legten die Beschuldigten Berufung ein. Die Staatsanwaltschaft forderte in einer Anschlussberufung eine Verurteilung wegen Betrugs.

Zu spät, verjährt oder zu gering

Die Strafkammer des Kantonsgerichts sprach das Paar nun in allen Punkten frei. Eine Verurteilung wegen Betrugs war ausgeschlossen, da laut Bundesgericht die bloße Unterlassung der Meldung veränderter Verhältnisse nicht ausreicht, um von Täuschung zu sprechen.

Das aus Bosnien Herzegowina stammende Ehepaar am 17. Juli vor dem Kantonsgericht St. Gallen.
Das aus Bosnien Herzegowina stammende Ehepaar am 17. Juli vor dem Kantonsgericht St. Gallen.
Bild: Arthur Gamsa

Für den unrechtmäßigen Bezug von Sozialleistungen genüge zwar das Verschweigen relevanter Tatsachen, so das Kantonsgericht, doch trat diese Bestimmung erst am 1. Oktober 2016 in Kraft. Die Zuwendungen nach diesem Datum wurden zweckgebunden zur Bezahlung von Bussen und Geldstrafen verwendet und hätten nicht zu einer Reduktion der Sozialhilfe geführt:

Selbst wenn man dies anders bewerten würde, wäre der Betrag gering und der Fall bereits verjährt.

Bezüglich der Nichtteilnahme der Kinder an Schulveranstaltungen lägen teilweise Verstöße gegen das Volksschulgesetz vor, die jedoch ebenfalls verjährt sind. Für eine Verurteilung wegen Verletzung der Fürsorgepflicht hätte eine konkrete Gefährdung der Kinder vorliegen müssen, was laut Auffassung des Gerichts hier nicht der Fall war.

Das Paar wurde somit in allen Anklagepunkten freigesprochen. Eine strafrechtliche Landesverweisung ist damit ausgeschlossen. Nun müssen die Migrationsbehörden prüfen, ob das inzwischen nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesene und erwerbstätige Ehepaar mit seinen heute fünf Kindern in der Schweiz bleiben darf.

Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig. Eine ausführliche Urteilsbegründung folgt. 


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