«Ich bin total unmusikalisch», sagt Philipp Bosshart. Diese Äusserung erwartet man von einem angehenden Präsidenten einer Musikschule eher nicht. In Philipp Bossharts Wohnung gibt es in der Tat keine Instrumente. Im Keller stand einmal ein Schlagzeug. Darauf spielte der Sohn. Als er die Schlägel vor drei Jahren beiseite legte, verkaufte die Familie das Instrument.Spielt Philipp Bosshart auch kein Instrument, heisst das nicht, dass ihn Musik nicht interessiert. Er hört sie sogar sehr gern. Als Generalagent einer Versicherung spielt er auf der Klaviatur der Finanzen. Seine kaufmännischen Talente bringt er seit 2011 als freies Vorstandsmitglied in die Musikschule Oberrheintal ein. Ende Monat möchte er die Leitung des Vereins übernehmen. Bosshart kandidiert als Nachfolger des Präsidenten Alfred Mattle.Der Kaufmann unter lauter MusikernWill der Kaufmann die Kultur mit Zahlen ausbremsen?«Ich habe wirklich einmal eine unangenehme Situation geschaffen», sagt Philipp Bosshart. Sie habe recht grosse Wellen geworfen und von ihr werde noch heute gesprochen. Als Vorstand testete er einmal eine Methode aus der Versicherungsbranche und engagierte einen Verkaufstrainer. Er wollte die Musiklehrer animieren, einen ungewohnten Blickwinkel einzunehmen. Auch sie sollten ihr Netzwerk nutzen, um neue Schülerinnen und Schüler zu finden. «Der Trainer war sehr provokant und manch einer ist erschrocken.» Etwas, das solch eine Langzeitwirkung habe, könne nicht so schlecht gewesen sein.Doch der Präsident Bosshart will nicht mehr provozieren. «Als freies Mitglied war mir das möglich. Künftig sehe ich meine Aufgabe darin, die Interessengruppen zu verbinden.» Diese sind die Schüler und ihre Eltern, die Musikvereine sowie die Schulgemeinden. Letztere tragen die Musikschule zu zwei Dritteln. «Meist möchten die Musikschüler einmal in einen Musikverein eintreten.» Gäbe es die Vereine nicht, verschwände auch ein Grund, ein Instrument zu erlernen.«Die Musikschule Oberrheintal soll ein Leuchtturm sein, an dem sich alle orientieren, die musizieren wollen.» Der Verein bietet einen breit angelegten Unterricht an. Eine Art Musik, die den Schweizern vielleicht fremd ist, deckt er aber nicht ab. Philipp Bosshart möchte ein bis zwei weitere Instrumente ins Programm aufnehmen. Spielen Musikschüler dereinst Volksmusik vom Balkan auf der «Chunrat»-Bühne, erfüllt der «Leuchtturm» seinen Zweck. Die Musikschule wird dann in punkto Kultur bunter geworden sein und zusätzlich andere Menschen ansprechen als bisher.«Musik verbindet Menschen, egal woher sie kommen.» An der Eröffnungsfeier des Hauses der Musik habe man gesehen, dass es gehe. «Bisher haben wir es nur nicht gemacht», sagt Philipp Bosshart. Auch Tanz und Ensembles in ungewohnter Zusammensetzung der Instrumente gehören dazu.Das Amt kommt früher als gedachtEine neue Zielgruppe – mit einer womöglich fremden Kultur – in einen reibungslosen Betrieb einzubinden, birgt Konfliktpotenzial. «Auseinandersetzungen können uns helfen, Vorurteile abzubauen, indem wir verbindende Gemeinsamkeiten herausstellen. Im Fussball bringen wir es fertig, da wird es in der Musik wohl auch klappen.»Gelingt dies, kann die Musikschule ihre Plattform ausbauen. Gelungen ist ihr dies bereits mit den regelmässigen Dorfkonzerten. Dort erfreuen sich Grosseltern an den Auftritten ihrer Enkel. Deren kleinere Geschwister beobachten ein Vorbild, dem sie nacheifern möchten und Zaungäste erfreuen sich an den Konzerten. Wer sich traut, vor Publikum zu spielen, wird mit Applaus belohnt. Musikunterricht nehmen auch Erwachsene. Von den 1800 Schülern sind 330 längst keine Jugendlichen mehr.Philipp Bosshart hat schon länger damit geliebäugelt, das Präsidium einmal zu übernehmen. «Als Jungrentner wäre dies die ideale Beschäftigung für mich», sagt er. Von seiner Pensionierung ist der Sechzigjährige allerdings noch ein paar Jahre entfernt. «Kommt das Amt auch etwas früher als gedacht, nehme ich es jetzt dennoch gern an.»Ein Zeitsprung: Es ist Sommer 2026. Philipp Bosshart steht auf der Bühne im Haus Chunrat und kündigt ein Konzert an. Es treten Musikerinnen und Musiker mehrer Altersgruppen und Kulturen miteinander auf. Das Publikum staunt, wie gut die ihnen fremden Instrumente harmonieren. Der Präsident spielt keines. «Ich bin immer noch kein Musikant», sagt er. Aber nach dem Konzert feiert er gern mit Publikum und Akteuren.Zur PersonPhilipp Bosshart wuchs in St. Gallen auf. Seit 1999 lebt er in Altstätten, erst im Städtli und seit einigen Jahren in Lüchingen. Dort bewohnt der 60-Jährige mit Ehefrau und erwachsenem Sohn ein Einfamilienhaus. Von Beruf ist Philipp Bosshart Generalagent der Axa-Versicherung in Altstätten. In der Freiwilligenarbeit wirkt er seit dem Jahr 2011 als freies Mitglied im Vorstand der Musikschule Oberrheintal. Er vertritt keine der Mitgliederbehörden. Wählt ihn die Mitgliederversammlung am 28. April zu ihrem Präsidenten, so tritt er die Nachfolge Alfred Mattles an. Er stellt sich nach 19 Jahren im Amt nicht der Wiederwahl.Hinweis: msor.ch