14.05.2021

«Ich war nicht einmal schnuppern»

Corona machte die Suche nach der passenden Lehrstelle schwieriger. Trotzdem reüssierten die meisten Schüler.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
«Ich habe an die 50 Bewerbungen verschickt», sagt M. A. aus Heerbrugg. Der 15-Jährige weiss es nicht genau, denn es waren so viele, dass er irgendwann zu zählen aufgehört hat. Ob als Zeichner, Kaufmann oder Dentalassistent – er fand nirgends eine Lehrstelle. Noch schlimmer, er bekam keine Chance, zu zeigen, was er kann.«Ich war während des ganzen Bewerbungsprozesses nicht einmal schnuppern», sagt der Oberstufenschüler. Umso glücklicher sei er nun, doch noch eine Lehrstelle gefunden zu haben.Die Pandemie hat den Kontakt erschwertViele Schulabgänger, die im August in die Lehre starten, hatten ähnliche Schwierigkeiten. «Es war schwierig, schnuppern zu gehen», sagt Mia Goldener aus Lüchingen, «da viele Betriebe dies gar nicht anboten.» Dass sie sich um eine Lehre als Pharmaassistentin bemühte – in einer von der Pandemie stark betroffenen Branche – sei erschwerend hinzugekommen. Aus Mangel an Zeit konnte ihr niemand den Job zeigen. Die 15-Jährige wusste sich aber zu helfen und tauschte sich mit ihren Kolleginnen aus. «Wir erzählten uns von unseren Erfahrungen und gaben uns Tipps, welche Berufe zu einem passen würden», sagt Mia Goldener. Einige ihrer Kolleginnen hätten grosse Schwierigkeiten gehabt, einen Termin zum Schnuppern zu finden, weshalb sich die Suche hinauszögerte.Diese Probleme kennt Mailin Löhrer aus Eichberg nur vom Hörensagen. «Weil ich mich nur für Handwerkerberufe im Aussenbereich interessierte, war das Schnuppern ohne weiteres möglich», sagt die 15-Jährige. Schon seit dem ersten Oberstufenjahr habe sie in verschiedene Berufe geschnuppert. Es dauerte eine Weile, bis sie sich für einen Job entscheiden konnte. Während eines Arbeitseinsatzes im Bereich Werkdienst der Stadt Altstätten im letzten Herbst hätte man ihr die Lehrstelle als Fachfrau Betriebsunterhalt sofort angeboten.«Ich war sehr glücklich darüber, dass die zweite Bewerbung mit einer Zusage endete.» Jonas Buschor aus Altstätten wollte lange nur den Beruf des Landschaftsgärtners erlernen. Im Januar 2020 hatte er sich bei seinem Wunschbetrieb beworben, der ihm aber im Sommer kurzfristig absagen musste. Dadurch sei er gezwungen worden, seinen Ausbildungswunsch zu überdenken, und er habe tatsächlich in Richtung Mediamatiker gewechselt. Damit habe sich die Lage aber nur minimal verbessert: Einerseits gab es trotz grosser Nachfrage nur wenige Mediamatiker-Lehrstellen, andererseits hatte er wegen der Absage viel Zeit verloren. «Ich bin froh, hat es doch noch geklappt», sagt der 16-Jährige.Frühzeitig mit der Suche beginnenDass Schulabgänger auch mühelos eine Lehrstelle fanden, zeigt das Beispiel von A. H. aus Au. «Ich hatte grosses Glück», sagt der 15-Jährige, «meine erste Bewerbung war erfolgreich.» Er habe sich bei der Schnupperlehre sehr bemüht, das habe sich offensichtlich ausbezahlt.Auch Haxhere Redzepi aus Altstätten fand leicht eine Lehrstelle. «Ich habe früh angefangen, in Betrieben zu schnuppern», sagt die 15-Jährige. So hätte sich ihr Berufswunsch früh konkretisiert und sie konnte vorzeitig Bewerbungen verschicken.Ähnlich erging es Vivienne aus Lüchingen. Die 15-Jährige wusste früh, dass sie die FaGe-Ausbildung (Fachfrau Gesundheit) starten möchte. «Da mir früh bewusst war, welchen Beruf ich lernen und an welchen Orten ich mich bewerben möchte, war es nicht schwierig, eine Lehrstelle zu finden», sagt die Oberstufenschülerin. Dass sie sich vorzeitig über die Berufsanforderungen informiert und offene Stellen gesucht hätte, sei ebenso ein Vorteil gewesen wie passende Schulnoten. Weil viele Ausbildungsbetriebe ihre freien Lehrstellen immer früher vergeben, seien einige ihrer Freundinnen plötzlich in Zeitnot gekommen, obwohl sie auch früh auf Lehrstellensuche gingen.Die Firmen buhlen um guten Nachwuchs«Wir haben dieses Jahr nicht weniger Bewerbungen erhalten als sonst. Auch mit der Lehrstellenbesetzung sind wir gut auf Kurs», sagt Samuel Lauchenauer, Berufsbildner Automation bei libs. Sie hätten jedoch bemerkt, dass es im letzten August überdurchschnittlich viele Rücktritte von laufenden Bewerbungen gegeben habe. Seiner Meinung ist das darauf zurückzuführen, dass viele Schulabgänger die erste Lehrstellenzusage angenommen hätten, ohne auf einen besser geeigneten Ausbildungsplatz zu warten.«Viele Firmen buhlen heute um guten Nachwuchs. Aus Angst, die eigenen Lehrstellen nicht besetzen zu können, werden die Lehrstellen leider in einigen Unternehmen immer früher vergeben.», sagt Lauchenauer. Verunsichere die Pandemie die Jugendlichen, erhöhe diese Entwicklung den Druck auf die Schulabgänger – und führe dann zu unbedachten Entscheidungen. Libs scheue keinen Aufwand, um mit dem Nachwuchs in Kontakt zu treten und ihm die Möglichkeiten und Vorteile ihres Ausbildungsprogramms zu zeigen.Sandra Tobler, Leiterin Human Resources bei Just International AG, beobachtet, der Markt der Lernenden sei unter den Firmen hart umkämpft. Sie beleuchtet das Problem jedoch von einer anderen Seite. Die Schulanforderungen in der Lehre seien hoch, weshalb Schülerinnen und Schüler mit guten Noten und gutem Verhalten von den Betrieben bevorzugt werden. Deshalb täten sich Schulabgänger mit schlechten Noten schwerer, eine Lehrstelle zu finden, die ihnen gefällt und zu ihnen passt.Sie erleben es immer wieder, dass dementsprechend Lehrstellensuchende weniger motiviert sind und sie teilweise mangels Perspektiven zwar an die Schnuppertage kommen, diese aber vorzeitig abbrechen. «Erstmalig ist eine Lehrstelle zu diesem Zeitpunkt noch nicht besetzt», sagt Sandra Tobler. Auch wenn es in den vergangenen Jahren immer herausfordernder wurde, Lernende zu finden, konnten bisher stets alle Stellen besetzt werden.«Nicht nur die Anzahl, sondern auch die Qualität der Bewerbungen ist in den letzten Jahren zurückgegangen», sagt Friedrich W. Diener, Pächter und Geschäftsführer des Romantik-Restaurants Schloss Weinstein. «Viele bewerben sich in der Gastronomie nach dem Motto: Wenn ich sonst nichts finde, gehe ich in die Gastro.» Nacht- und Wochenendarbeit bereite den Lernenden Mühe. Der Druck, in kurzer Zeit ein grosses Arbeitspensum zu bewältigen, sei eine weitere Herausforderung. «Wir geben unser Fachwissen gern an junge Menschen weiter. Aber sie müssen es wollen», sagt Diener.Interesse an besonderen Berufen schwindetEbenso schwierig scheinen es Betriebe wie die SAW Gruppe oder die AWAG Wurster GmbH zu haben. «2021 haben wir noch keinen Interessenten für die Lehrstelle Steinmetz/in EFZ», sagt Frank Ullmann, Bereichsleiter bei AWAG Wurster. Einerseits schwinde das Interesse am Beruf von Jahr zu Jahr, andererseits würden die Schnupperlehrlinge immer jünger – und so körperlich kaum in der Lage, einen normalen Arbeitstag zu überstehen.«Für uns als Nischenbetrieb harzte die Lehrlingssuche schon immer», sagt Sabrina Schmitter, Assistentin der Geschäftsleitung der SAW Gruppe. «Dass das Schnuppern coronabedingt ausfiel, hat die Situation noch mehr erschwert.»«Die grosse Nachfrage für gewisse Lehrstellen wie FaGe hat sich nicht verändert», sagt Regula Styger, Ausbildungsverantwortliche der Hirslanden Klinik am Rosenberg in Heiden, «dass Schnuppertage nur eingeschränkt durchgeführt werden konnten, die OBA gar nicht stattfand und die Berufskunde im Homeschooling möglicherweise weniger Gewicht erhielt, hat uns erschwert, in den anderen Berufen genug geeignete Lernende zu finden.»

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