02.12.2021

«Ich schaue nie mehr solche Videos»

Das Kreisgericht verurteilt einen Mann, weil er Sexfilme und -bilder mit Kindern besass und im Netz verbreitete.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 02.11.2022
Seraina HessDie Frage nach dem Warum lässt den jungen Rheintaler noch etwas tiefer in den Sessel sinken. Die Schwester im Rücken und den Einzelrichter vor sich, hat sich der Endzwanziger an diesem Dienstagmorgen seiner jüngeren Vergangenheit zu stellen und dabei vor allem über ein Delikt zu sprechen, das selbst sein Verteidiger als abgrundtiefe Peinlichkeit bezeichnet: den Konsum und das Verbreiten von Kinderpornografie. Es sind die immer gleichen Sätze, die der Mann im grauen Kapuzenpulli zeitweise mit brüchiger Stimme spricht: «Es geht mir beschissen und ich bin brutal nervös. Ich weiss nicht mehr, weshalb ich das getan habe – es war einfach Dummheit.» Pornokonsumenten teilen Schandtaten auf AppDie happigen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bestreitet der Angeklagte kein einziges Mal. Der junge Mann soll sich zwischen Frühling 2017 bis Ende 2018 bis zu dreimal wöchentlich Sexfilme und -bilder mit Buben und Mädchen vom Kleinkind bis zum Teenager angesehen haben. Ans Material kam der Handwerker über die Messenger-App Kik. Ein Dienst, der WhatsApp ähnelt, sich in einem Punkt aber unterscheidet: Andere Nutzer kontaktiert man nicht mittels Telefonnummer, sondern über den Benutzernamen, was einen anonymisierten Beitritt in Gruppenchats erlaubt. Wie eine Recherche zeigt, ist die Applikation in einschlägigen Kreisen zum Austausch von Pornos über Dropboxlinks beliebt. Der Angeklagte speicherte aber nicht nur Videos, an die er in den Minderjährigen-Pornochatgruppen gelangte – er stellte auch selbst Filme und Fotos hinein, auf denen die abgebildeten Kinder zum Oral- oder Vaginalverkehr gezwungen wurden.Die Spuren im Netz führten die Ermittler schliesslich zum Angeklagten. Bei einer Hausdurchsuchung im April 2019 stellte die Kantonspolizei St. Gallen im Elternhaus des Mannes insgesamt fünf Festplatten, einen USB-Stick sowie drei Smartphones sicher – mit eindeutigen Inhalten: 885 Fotos und 218 Filme mit tatsächlicher, 17 Bilder und acht Videos mit virtueller Kinderpornografie. Weiter sind die Beamtinnen und Beamten auf 55 Bilder und einen Film mit sexuellen Handlungen an Tieren gestossen, die gemäss Aussagen des Angeklagten aber versehentlich auf den Festplatten gelandet sind.Der Einzelrichter bohrt während der Verhandlung mehr als einmal nach, um der Neigung des jungen Mannes auf den Grund zu gehen. «Was haben Sie erwartet, als Sie die Links angeklickt haben?» – Stille. Dann: «Ich weiss es auch nicht.» «Weshalb haben Sie die Filme konsumiert?» – Stille. «Ich weiss nicht. Ich war neugierig, aber mir ist klar, es ist ekelhaft.» «Weshalb haben Sie die Filme geteilt?» – «Um in der Gruppe zu bleiben, es wurde immer wieder Druck aufgebaut», kommt es diesmal abrupt. «Haben Sie die Bilder und Filme angemacht?» – Stille. «Am Anfang schon, irgendwann aber nicht mehr. Ich weiss, es war bescheuert, ich habe wirklich damit abgeschlossen und schaue nie mehr solche Videos.»Der Angeklagte ist zwar geständig und reuig, eine Therapie hat er seit dem letzten Pornokonsum im Dezember 2018 aber nicht begonnen. Mit Psychologen habe er schlechte Erfahrungen gesammelt, nachdem er in der Oberstufe einen aufgesucht hatte, der ihm über Mobbing hinweghelfen sollte. «Damals erhielt ich nur Antidepressiva, die mich völlig plemplem machten.» Lieber lenke er sich heute in der Natur ab, gehe wandern, unternehme viel mit seiner Partnerin, die wie Mutter und Schwester von den Pornos wisse. «Mit diesen Filmen will ich nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Ich habe definitiv damit abgeschlossen», betont der junge Mann, der weder beruflich noch in der Freizeit mit Kindern zu tun hat.Gefängnisstrafe undTätigkeitsverbot gefordertDie Staatsanwaltschaft forderte im Wesentlichen, den Angeklagten der mehrfachen Pornografie schuldig zu sprechen und zu einer bedingten siebenmonatigen Gefängnisstrafe zu verurteilen, dies bei einer vierjährigen Probezeit. Beantragt wurden weiter 4000 Franken Busse. Zusätzlich verlangt die Staatsanwaltschaft den Vollzug einer bedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 100 Franken gemäss Strafbefehl aus dem Jahr 2017. Den Strafbefehl erhielt er, nachdem er mehrmals mit dem Strassenverkehrsgesetz in Konflikt geraten war. Zu schnelles Fahren hat mit dem Pornografiefall zwar nichts zu tun, kommt nun aber wegen des neuen Delikts während der Probezeit wieder auf den Tisch.An der Schuldspruchforderung rüttelt der Verteidiger nicht. Er plädiert allerdings unter anderem dafür, auf eine Freiheitsstrafe zu verzichten und stattdessen eine bedingte Geldstrafe anzusetzen. Auch vom Tätigkeitsverbot mit Kindern sei abzusehen. Dieser Forderung kommt das Kreisgericht teilweise nach. Es spricht den Angeklagten der mehrfachen Pornografie schuldig und verurteilt den Rheintaler zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 120 Franken, dies bei einer Probezeit von vier Jahren. Ausserdem hat er eine Busse von 4000 Franken zu berappen. Auf den Vollzug der bedingten Geldstrafe für die Strassenverkehrsdelikte verzichtet das Gericht; die Probezeit verlängert es jedoch um ein Jahr. Laptops und Smartphones werden vernichtet und die Verfahrenskosten in der Höhe von knapp 4500 Franken dem Angeklagten auferlegt. Soziale Kontrolle durchFreundin und FamilieVon einem Tätigkeitsverbot mit Kindern sieht das Kreisgericht ab, wobei der Angeklagte diesbezüglich «Schwein gehabt» habe, wie der Richter in der Urteilsbegründung ausführt: Eine zum Tatzeitpunkt gültige Bestimmung hält fest, dass ein Tätigkeitsverbot nur bei Freiheitsstrafen von über sechs Monaten verhängt werden könne. Die Geldstrafe sei bedingt ausgefallen, weil der Angeklagte als Ersttäter gilt. Der Richter unterstreicht ausserdem die Transparenz des jungen Mannes: «Eine Garantie gibt es zwar nie, auch nicht bei therapeutischen Massnahmen, doch eine gewisse soziale Kontrolle in der Familie ist beim Angeklagten definitiv gegeben.» Dennoch ermahnt der Richter: «Kinderpornografie ist keine Bagatelle. Wer sie konsumiert und teilt, beteiligt sich am Missbrauch, der vor der Kamera geschieht. Sollten Sie jemals rückfällig werden, kommen Sie bestimmt nicht mehr mit einer Geldstrafe davon.»

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