Yves SolenthalerAm 21. August 2019 hat für Gion Coray ein Lebensabschnitt begonnen. An diesem Tag kam er im Internat der Canadian International Hockey Academy in der Nähe der Hauptstadt Ottawa an. Eine Woche später stand er in der höchsten kanadischen U18-Liga bereits auf dem Eis.«Der Anfang war schwierig – wegen der Sprache, und weil ich meine Mitspieler noch nicht kannte», sagt Gion Coray. Dennoch erzielte der Vorderländer von Anfang an Tore für die «Midget AAA White» der Eishockey-Akademie in Rockland.An der Seite der Russen trat der Erfolg einNach anfänglichen Erfolgen folgte aber ein Leistungsabfall: «Wir waren nicht eingespielt, die Trainer hatten kaum Zeit, um die Linien so zusammenzusetzen, dass die Spieler einander ergänzten», sagt Coray, «seit mich der Coach im siebten oder achten Spiel mit den beiden Russen eingesetzt hat, lief es aber ziemlich gut.» Der Trainer ist Andre Savage, der zwischen 1998 und 2003 66 NHL-Spiele für die Boston Bruins und die Philadelphia Flyers bestritten hat. Später spielte Savage in Schweden und Deutschland (Nürnberg Ice Tigers). Jetzt trainiert er ein Team mit vielen nordamerikanischen, aber auch einigen europäischen Eishockeytalenten. «Savage ist ein sehr detailversessener Trainer, er macht die Spieler täglich besser», sagt Coray.Der frühere Junior des SC Rheintal bucht in seiner ersten Überseesaison fast einen Skorerpunkt pro Match: In 45 Spielen kamen 18 Tore und 25 Assists zusammen – damit ist Gion Coray in seinem Team die Nummer 3, die er sinnigerweise auch auf dem Rücken trägt. Mit den Russen Andrei Svalov und Ilnar Fakhrutdinov bildet Coray die produktivste Sturmlinie der Liga.Coray & Co. konnten ihre Saison fertig spielen: Das Team aus Rockland erreichte die Playoffs, schied dort aber in der ersten Runde aus – in nur einem Spiel: «In der U18-Liga gibt es nur ein K.-o.-Duell, das wir nach Penaltyschiessen verloren», sagt Coray. Das Team hatte aber das Ziel erreicht und auch Coray blickt positiv auf seine Saison zurück: «Es war ein guter Entscheid, nach Kanada zu gehen», sagt Coray, «ich weiss jetzt, dass ich mit den Kanadiern mithalten kann.» Er fühlt sich im Internat mit 90 anderen Eishockeytalenten wohl, das Zusammenleben mit vielen Gleichaltrigen aus verschiedenen Ländern findet er spannend. Das schnellere nordamerikanische Eishockey auf dem kleinen Feld behagt dem kleingewachsenen, aber kraftvollen Center. «Vor allem spüre ich die Professionalität der Akademie – und ich nehme täglich die riesige Bedeutung des Eishockeys in Kanada wahr», sagt Coray.Sogar Ernährungswünsche werden berücksichtigt: «Ich mag keine Teigwaren vor den Spielen, die liegen mir auf dem Magen. Das habe ich dem Teamkoch gesagt, seither bereitet er mir jeweils Quinoa zu, wie ich es ihm gezeigt hatte. Und zum Frühstück bekomme ich Haferflocken mit Milch, wie ich es aus der Schweiz kenne.»Raphael Coray, der Vater von Gion, ist Nachwuchschef beim SC Rheintal. Er hat seinen Sohn zweimal in Kanada besucht. Sonst hielt Gion Coray mit seinen Eltern per Videotelefonie Kontakt. Sehen konnten sie ihren einzigen Sohn jeweils im Internet: Per Livestream war jedes Spiel der U18-Liga mitten in der Nacht in der Rüütiger Stube empfangbar. Die Mutter Isabelle Coray sagt: «Ich schaute die Spiele bis zum Moment, in dem Gion nach einem Check auf dem Boden liegen blieb. Da ist man 8000 Kilometer entfernt, und weiss nicht, was mit dem eigenen Sohn los ist.» Es war nichts Schlimmes, Coray bekam einen steifen Nacken.«Sobald Verdacht auf eine Kopfverletzung besteht, muss der Spieler liegen bleiben», sagt Coray, «in Kanada ist jeder Schritt geregelt, der in einem solchen Fall zu tun ist.» Coray will seinen Weg in Nordamerika gehenAuch wenn das abgeschiedene Leben am Rand einer kanadischen Provinzstadt an ein Kloster gemahnt – ein Klosterschüler ist Gion Coray nicht: Mit 44 Strafminuten hat er sich auch auf körperlicher Ebene Respekt verschafft. Als er einmal eine Matchstrafe kassierte, bekam er fünf Minuten später einen Anruf von seinem Vater, der mit Gions unfairer Aktion gar nicht einverstanden war. In der Schule in Kanada hat sich Gion Coray ebenfalls gut zurechtgefunden: «Die Europäer sind mit dem Schulstoff weiter als die Nordamerikaner, für mich natürlich ein Vorteil.» In einem Jahr kann der Vorderländer seinen High-School-Abschluss machen, danach wäre er frei, an einer Universität zu studieren – auch in Europa, aber im Moment tendiere er dazu, dann in Nordamerika zu bleiben: «Ich möchte mich hier etablieren.»Gion Corays Schweizer Transferrechte liegen immer noch beim HC Davos, nächste Saison bleibt er aber sicher in Kanada. Er wird für das U19-Team der Akademie in Rockland spielen. Die Reisen werden länger, weil in dieser Liga in ganz Kanada gespielt wird. Für den 17-jährigen Gion Coray geht es auf seinem Weg in den Profisport darum, einen der vielen Scouts zu beeindrucken.