21.02.2021

«Ich habe keine Angst mehr»

Manal Salhia setzt sich für Kinder ein. Zuerst als Regisseurin in Syrien, jetzt als Jugendarbeiterin im Rheintal.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
«Am Schluss war ich in meiner Heimat so etwas wie ein Star», sagt Manal Salhia. Ihre Heimat, das war Damaskus, die syrische Hauptstadt. «Am Schluss» bedeutet: bevor Manal Salhia aus Angst um ihr Leben aus Syrien fliehen musste.Sie führte ein angenehmes Leben dort – hatte einen spannenden Job und verdiente gutes Geld. Es gab weder politische noch religiöse Unterdrückung und auch als Frau wurde sie nicht benachteiligt. Manal Salhia studierte Wirtschaft, schlug aber bald einen anderen Weg ein.Für einen Emmy-Award nominiertSie folgte ihrem Vater zum syrischen Fernsehen und startete durch: Schnell war sie Programmchefin, Regie- und Abteilungsleiterin und machte sich als Regisseurin von Filmen für Kinder und Jugendliche einen Namen. «Meistens habe ich Filme für Unicef über Kinderrechte gedreht», sagt die Syrerin, «und dabei neun Preise gewonnen.» Den letzten – ein Spezialpreis der Unesco – erhielt sie 2010 beim Prix Jeunesse Festival in München. Drei Jahre zuvor war ihr Film «Des petits coeurs» für einen Emmy-Award und somit für einen der bedeutendsten Fernsehpreise der Welt nominiert.Doch dann, 2011, mit Beginn der Revolution, änderten sich die Bedingungen schleichend. «Solange ich nichts gegen die Regierung sagte, liess man mich in Ruhe», sagt die Kinderrechtlerin. Das Problem war: Irgendwann sagte Manal Salhia etwas. Durch die Zusammenarbeit mit Unicef sah sie, wie Kinder unter dem Krieg litten und sprach darüber. Nicht vor der Kamera, aber intern vor den «falschen» Leuten. «Das reichte. Ich wurde immer wieder verhaftet, eingesperrt und bedroht.» Immer wieder habe sich der Geheimdienst bei ihr gemeldet. Man habe ihr unmissverständlich klar gemacht, dass, wenn sie die Sendungen über Kinderrechte nicht stoppe, man sie zum Schweigen bringen werde.Beschwerliche Reise ins UngewisseDie zweifache Mutter glaubte den Drohungen und organisierte die Flucht. Dafür, dass ihre Töchter über den Libanon nach Ägypten in Sicherheit gebracht wurden, musste Manal Salhia viel bezahlen. «Ich selbst konnte nicht fliehen», sagt die 53-Jährige. Ihr Name stand auf einer Blacklist. «Erst, als ich einen Beamten bestochen habe, konnte ich meinen Töchtern am 1. April 2013 nachreisen. Ihr blieb nur Zeit, um das Nötigste mitzunehmen, ein paar Kleider, Schuhe und Hygieneartikel sowie etwas Geld und ihre Dokumente.Während ihre ältere Tochter Arbeit bei einem syrischen Radiosender in Istanbul fand, schlug sich Manal Salhia mit ihrer jüngeren Tochter mehr schlecht als recht über die Runden. Gleichzeitig erfuhr sie von ihrer Schwester, die in Zug als Ingenieurin arbeitete, dass syrische Familienangehörige leichter ein Besuchervisum erteilt bekommen würden. Manal Salhia ergriff im März 2014 die Chance, reiste in die Schweiz, erhielt Asyl und einen B-Ausweis.Syrien zu besuchen, bleibt vorerst ein TraumSeit sieben Jahren lebt Manal Salhia in der Schweiz. Über Altstätten, Rorschach und Grabs kam sie nach Heerbrugg, wo sie ihre eigene Wohnung bezog. «Hier habe ich keine Angst mehr», sagt Manal Salhia, «die Schweiz bietet Sicherheit, Freiheit und Chancengleichheit.»Dennoch verlief ihr Start in der neuen Heimat nicht optimal: auf über 50 Bewerbungen erhielt sie nur Absagen. Trotzdem liess sie sich nicht unterkriegen, lernte Deutsch, bildete sich weiter und bemühte sich um Arbeit. Ihre Hartnäckigkeit machte sich bezahlt. Manal Salhia durfte ein einjähriges Praktikum beim Jugendnetzwerk der sozialen Dienste Mittelrheintal absolvieren, besser noch: Man bot ihr eine Festanstellung an.«Ich fühle, dass das Rheintal meine Heimat ist und meine Nachbarn sind meine Familie in der Schweiz», sagt die Jugendberaterin. Trotzdem vermisst die Syrerin ihre Mutter und ihren Bruder, die in Damaskus geblieben sind. Wenn immer möglich, habe sie Kontakt mit ihnen.«Mir mangelt es an nichts», sagt Manal Salhia. Sie habe einen tollen Job, nette und hilfsbereite Kollegen und die besten Nachbarn. Dennoch bleibt ein grosser Traum von ihr aktuell unerfüllt: ihre Verwandten in der alten Heimat zu besuchen. «Mit meiner C-Bewilligung darf ich andere Länder bereisen», sagt Manal Salhia, «aber ich befürchte, dass mich das Regime in Syrien sofort einsperrt.»

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