29.10.2020

«Ich geniesse jeden Tag»

Die gebürtige Balgacherin Theres Hangartner-Metzler feiert am Freitag, 30. Oktober, ihren 101. Geburtstag. Sie ist Teil einer bekannten Familie.

Von Alexandra Gächter
aktualisiert am 03.11.2022
Selten trifft man einen Menschen, der so glücklich, zufrieden und dankbar ist wie Theres Hangartner. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass sie heute bei guter Gesundheit ihren 101. Geburtstag feiern kann. Bis vor einem Jahr lebte Theres Hangartner noch zu Hause neben ihrem Sohn. Aufstehen und ein paar Schritte gehen bereiten ihr auch heute noch keine grossen Schwierigkeiten. Auf die Frage, welche Zeit die schönste in ihrem Leben gewesen sei, sagt sie: «Jede Zeit war schön. Auch die jetzige. Ich geniesse jeden Tag. Mir tut nichts weh, habe keine Arthrose oder Gicht und hier im Haus Wieden in Buchs ist es wunderbar.»Aber es hat auch Schicksalsschläge gegeben: der frühe Tod ihrer Schwester und ihres Mannes, dazu kamen Nöte und Sorgen, welche sie mit Beten und viel Zuversicht überstand. Von den Sorgen übrig geblieben ist aber nichts. In ihren Augen sieht man nur den freudigen Glanz einer zufriedenen Frau.Eltern gründeten die Stickerei MetzlerAufgewachsen ist die im Jahr 1919 geborene Theres Hangartner-Metzler mit sieben Geschwistern in Balgach. Ihre Eltern betrieben eine Stickerei und gründeten die heutige Firma Metzler Switzerland. Obwohl die Eltern sehr tüchtig waren, stand die Familie gegen Ende der Stickereizeit kurz vor dem Ruin. Sie konnten den drohenden Konkurs abwenden und entschieden sich, ab nun Frauenunterwäsche mit Spitze herzustellen. Fortan nähten sie Hemden, Unterröcke und Unterhosen, die fast bis zu den Knien reichten. Das Geschäft florierte, bald konnte die Familie mehr Nähmaschinen kaufen und mehr Arbeiterinnen anstellen.Um ihre Kundschaft zu bedienen, leistete sich die Familie Metzler im Jahr 1929 ein Auto. Damals gab es noch keine geteerten Strassen. «Es zogen viele Pferdefuhrwerke vorbei, ansonsten waren die staubigen Strassen dazu da, um darauf zu spielen.» Die Familie Metzler war die zweite Familie im Dorf, die sich ein Auto leisten konnte. «Die ersten, die ‹Konsümler Nüesch› waren darüber derart unerfreut, dass sie uns beim Vorbeilaufen mit dem Wasserschlauch anspritzten. Ich musste vor dem Auto Wache halten, weil wir Angst hatten, dass andere das neue Auto aus Neid beschädigten.»Die Stickerfamilie Metzler war die zweite Familie im Dorf Balgach, die ein Auto besass. Auf dem Bild ist die zehnjährige Theres Hangartner-Metzler stehend zu sehen. Im Auto sitzt ihre ältere Schwester Stefanie. (Bild: pd)Auch besassen Theres Hangartner und ihr Bruder in jungen Jahren ein Dreigangvelo. «Die besten von damals», fügt sie an. Mit ihrem Bruder fuhr sie vom Rheintal ins Wallis und überquerte mit ihrem Dreigänger den Furkapass. Drei Wochen waren die Geschwister unterwegs. Gekostet haben diese Ferien für die beiden Geschwister 123 Franken.Mit etwa 14 oder 15 Jahren – die Mädchen besuchten die Sekundarschule nicht – musste Theres Hangartner im Familienbetrieb arbeiten. «Die Arbeit behagte mir gar nicht. Ich konnte nicht mehr schlafen und essen. Bald sah die Familie ein, dass es so nicht weiterging und ich durfte statt in der Fabrik im Haushalt helfen.»Wenn Theres Hangartner über ihren verstorbenen Mann spricht, kommt sie richtig ins Schwärmen. Verliebt habe sie sich bereits in der Primarschule. Nur durfte das niemand wissen. Es war ihr Geheimnis. Als sie viele Jahre später ein Paar werden wollten, waren ihre Eltern strikt dagegen und versuchten mit allen Mitteln, die Beziehung zu verhindern. Die Eltern hielten ihr vor, sie sei zu jung für eine Beziehung, sie solle erst einmal 20 Jahre alt werden. Als sie 20 war, hatten sie für ihre Tochter einen anderen Mann ausgewählt. Theres Hangartner liess sich nicht davon abbringen, mit ihrer Jugendliebe zusammen zu bleiben. Doch dann brach der Zweite Weltkrieg aus und ihr Freund musste ins Militär einrücken.Hochzeitsglocken und KriegsschüsseWährend des Krieges hatte die Familie oft Angst und betete viel. Der Bundesrat ordnete an, dass auf jedem freien Quadratmeter Boden Kartoffeln angepflanzt werden müssen. Folglich wurden Fussballfelder umgepflügt. Aufgrund der rationierten Lebensmittel blühte der Schwarzmarkt richtiggehend auf. Zu essen gab es dennoch meist nur Mais und Kartoffeln. «Hunger leiden mussten wir nicht. Wir waren mit dem Mais und den Kartoffeln zufrieden», so die 101-Jährige.Als das Kriegsende nahte, verlobte sich die damals 25-Jährige mit ihrer Jugendliebe. Am 1. Mai 1945 läuteten nicht nur die Hochzeitsglocken, auch waren während der Hochzeit die letzten Kriegsschüsse aus dem nahen Vorarlberg zu hören. Einen Tag später startete das junge Paar seine Flitterwochen im Tessin. Dort legten die Tessiner in den folgenden Tagen die Arbeit nieder und jauchzten: «Finita la guerra!»Beginn des Friedens war Beginn ihrer EheRuhig wurden die Flitterwochen dennoch nicht. Die Tessiner übten kurz darauf Vergeltung an den Faschisten. Sie demolierten ihre Häuser und Geschäfte. «Das war ein schlimmer Anblick», erinnert sich Theres Hangartner. Als die beiden am 8. Mai 1945 nach Balgach zurückkehrten, läutete die Kirche gerade den Frieden ein. Für das Ehepaar war dies der Start in ein glückliches Familienleben. Bis zum tränenreichen Auszug der geliebten Kinder war Theres Hangartner Mutter mit Herzblut. Als ihr Sohn des Berufes und der Liebe wegen 1972 nach Buchs zog, kauften Theres Hangartner und ihr Mann 1979 den Bauplatz nebenan und verbrachten ihre Pension in Buchs.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.