07.04.2022

«Ich bin mein eigenes Studio»

Zufällig geriet Wynter Phoenix vor sieben Jahren in eine Cosplay-Veranstaltung und fing sofort Feuer. An Ostern nimmt die Rebsteiner Influencerin in Montreux an der Vorausscheidung zu den Europameisterschaften teil.

Von Mark Riklin
aktualisiert am 02.11.2022
Mark Riklin Der Interviewtermin fällt mitten in die Vorbereitungen auf die bevorstehende Abreise nach Holland. Am Tag darauf, um 4 Uhr früh, geht es los Richtung Utrecht, wo Wynter Phoenix an diesem Wochenende im Rahmen der «Heroes Dutsch Comic Con» als Co-Moderatorin einer grossen Cos-play-Competition auftritt. Bereits ab Mittag sollen auf der Bühne Vorproben stattfinden, die Technik getestet, Choreos einstudiert und Laufwege besprochen werden. Bis dahin gibt es noch allerhand zu tun: Kostüme fertigstellen, den Moderationsplan durchgehen, einzelne Speech-Elemente verinnerlichen. Und Interviewfragen beantworten. Von Cosplay haben bisher die wenigsten gehört – eine Disziplin, die offensichtlich nicht zum gängigen Vokabular gehört. Für Wynter Phoenix (24) sind erstaunte Gesichter nichts Neues – auch die älteren Damen, die unter ihrer Wohnung leben, hätten den Begriff nicht gekannt, sagt sie mit einem Lächeln, während die Katze zum zweiten Mal über den Schreibtisch schwänzelt und den Bildschirm zwischenzeitlich verdunkelt.660000 Followerauf TikTokEs wird wieder hell. Cosplay ist eine japanische Fanpraxis, die bereits in den 1990er-Jahren nach Europa kam und inzwischen auch in der Schweiz eine beachtliche Community gefunden hat. Cosplayerinnen und Cosplayer stellen durch ein Kostüm und ein spezifisches Verhalten eine Figur aus einem Comic, Film oder Videospiel möglichst originalgetreu dar. Ein Genre zwischen Handwerk, Kunst und Schauspielerei. Entdeckt hatte Wynter Phoenix Cosplay eher zufällig, als sie 2015 eine Kollegin ans Polymanga-Festival nach Montreux begleitete, da sich diese nicht alleine traute. Voller Bewunderung sah sie den Kostümierten zu, realisierte, «die machen ja alles selber», und entschied aus dem Bauch heraus: «Das will ich auch.» Und so begann Wynter Phoenix, Kostüme zu entwerfen, sich Schritt für Schritt in das vielseitige Handwerk einzuarbeiten und erste Auftritte zu planen. Nach Erfahrungen in der Schweiz und Deutschland folgte 2017 in Belgien anlässlich der «FACTS Comic Con» der erste grosse Erfolg. «Als ich als Siegerin des Wettbewerbs auf die Bühne gebeten wurde, habe ich vorerst gar nicht verstanden, worum es ging», erinnert sich Wynter Phoenix, viel zu überrascht sei sie gewesen. «Anfangs war das Cosplay nur ein Hobby, aber bald merkte ich, dass ich bereit war, mehr Zeit und Mühe darin zu investieren als in alles andere. Und so war der Entschluss schnell gefasst, dass ich einen Weg finden musste, diese Leidenschaft zu meinem Beruf zu machen.» Im August 2021 machte sich Wynter Phoenix selbstständig, lebt seither als professionelle Cosplayerin. Auf TikTok hat sie bereits über 660000 Follower, auf Instagram bald 20000 und auch auf dem Youtube- und Patreon-Kanal «Wyntemo» steigen die Abozahlen. Gemeinsam mit den Gagen an Events und als Influencerin lässt sich der Lebensunterhalt bestreiten.Wynter Phoenix, die in der Öffentlichkeit nur ihren Künstlernamen preisgibt, um ihre Privatsphäre zu schützen, kommt im neuen Beruf die Ausbildung als Mediamatikerin zugute, die sie von 2014 bis 2018 bei den SBW Neue Medien in Romanshorn durchlaufen hat. Das mediamatische Wissen habe ihr extrem geholfen, fast alles könne sie heute in ihrer Alltagspraxis anwenden, den Umgang mit Fotos, Videos, Websites, sozialen Medien, Portfolios, Programmen wie Illustrator etc. «Ich bin sozusagen mein eigenes Studio», sagt Wynter Phoenix, während die Katze auf der linken Schulter Platz nimmt.In der Ausbildung vielfürs Leben gelerntAm meisten profitiert habe sie von den vielen Projekten, immer wieder sei sie ins kalte Wasser geworfen worden. Ihr damaliger Coach habe sie kurzerhand als Projektleiterin eingeteilt, ohne sie zu fragen. Was sie zuerst erschrecken liess, verwandelte sich mit der Zeit in die überraschende Erkenntnis: «Ich kann das und es macht sogar Spass!» In dieser Zeit habe sie viel Selbstvertrauen getankt, dafür sei sie sehr dankbar. «Ich kam als schüchternes Mädchen und ging nach vier Jahren als selbstbewusste junge Frau.»Die Schweiz vertretenDie Katze hat inzwischen das Weite gesucht. Voll und ganz auf die Karte «Cosplay» zu setzen, sei bis heute die richtige Entscheidung. «Ich könnte nicht glücklicher sein», sagt Wynter Phoenix, die es kaum erwarten kann, was die Zukunft bringt. Sie träumt davon, die Schweiz an den nächsten Europameisterschaften in Paris vertreten zu dürfen. Just an diesem Morgen ist die schriftliche Bestätigung eingetroffen, dass Wynter Phoenix am Ostersonntag in Montreux anlässlich der «Cosplay Groupe Polymanga 2022» an der Vorausscheidung teilnehmen kann. Ausgerechnet dort, wo sie vor sieben Jahren erstmals Feuer gefangen hat. Der Kreis schliesst sich.Hinweiswww.wyntercosplay.com

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