02.05.2021

«Ich bin ein Zollkind»

Dominik Glinski aus St. Margrethen erlebt vieles an der Grenze. Ab September bildet er neue Fachspezialisten aus.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Einmal, noch in der Ausbildung zum Grenzwächter, kontrollierten Dominik Glinski und sein Kollege nachts auf einem Parkplatz fünf Insassen eines Autos, die angetrunken und leicht aggressiv waren. Was, wenn die Situation eskaliert und die jungen Männer ausarten? Ein mulmiges Gefühl beschlich Dominik Glinski, als sie sich den Personen näherten.Es kann jederzeit etwas passieren«Ich erwarte ständig das Unerwartete», sagt Dominik Glinski. Weil immer etwas passieren könne, dürfe man den Job nicht auf die leichte Schulter nehmen. Routine sei Gift für die eigene Sicherheit. «Glücklicherweise bin ich noch nie in eine Situation geraten, in der ich meine Waffe ziehen musste, sagt der 35-Jährige, «bisher kam ich mit Reden immer ans Ziel.» Obwohl der Job gefährliche Situationen bergen könne, habe er bei Einsätzen noch nie Angst verspürt. Wichtig sei, sich mental auf den Einsatz vorzubereiten. Sobald er seinen Waffengurt anzieht, wisse er, jetzt ist Vorsicht geboten.Es sei auch schon vorgekommen, dass der Einsatzleiter vorgängig verschiedene Szenarien durchspielen liess oder wichtige Punkte, die es zu beachten gilt, auffrischte. Jeder habe seine persönlichen Methoden, sich auf die Arbeit vorzubereiten. Abgesehen davon, sei es seine Aufgabe als Instruktor, zukünftige Fachspezialisten Zoll- und Grenzsicherheit bestmöglich auf die Gefahren im Berufsalltag hinzuweisen und ihnen einen Bezug zur Realität zu vermitteln. «Wir wollen Hemmungen abbauen und die Aspiranten ermutigen, aus Fehlern zu lernen», sagt der Ausbildner. Egal wie gut die Ausbildung oder die spätere Einsatzplanung sei, bei unvorhergesehenen Ereignissen ist es anspruchsvoll, rasch die richtigen Entscheidungen zu treffen. Zumal subjektive Empfindungen ebenso einen Einfluss haben, wie die Situation selbst, die man vorfindet. «Selbst hart gesottenen Grenzwächtern kann es passieren, dass ihnen ihre Emotionen einen Strich durch die Rechnung machen», sagt der Zollfachmann.Bilder im Kopf bleiben für immerVor einigen Jahren wurde er bei einem Personenunfall auf der Autobahn als Verstärkung herbeigezogen. Er könne sich daran erinnern, als wenn es gestern gewesen wäre. «Diese Szenen steckt man nicht einfach so weg», sagt Dominik Glinski, «diese Bilder bleiben für immer in meinem Kopf.» Alle waren ruhig, die Stimmung gedrückt und andächtig.Ebenso hätten sich Eindrücke, die er während der Flüchtlingswelle 2013 in St. Margrethen gesammelt hatte, in seinem Kopf eingebrannt. Ganze EC-Züge, mehrheitlich voll besetzt mit Afghanen und Syrern, kamen an. Es seien einerseits Züge voller Leid und Schrecken gewesen, andererseits waren es Züge der Hoffnung. «Eine Frau, die nur arabisch gesprochen hatte, glaubte, abgeschoben zu werden, und war völlig verzweifelt», erinnert sich der Zollfachmann. Als er die Angst in ihren Augen sah, sei er den Tränen nah gewesen. «Das ging mir unter die Haut», sagt der 35-Jährige.«Trotzdem ist es mein Traumberuf», sagt Zollfachmann Dominik Glinski, «nach zwölf Jahren Zollverwaltung bin ich ein Zollkind.» Nach seiner Lehre zum Polymechaniker trat der 35-Jährige im Rahmen der Rekrutenschule der Grenzwache bei, wo er die Grundausbildung zum Grenzwächter absolvierte. Man lerne viel Neues, jeder Tag bringe Abwechslung und unerwartete Einblicke in Bereiche, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Einmal gehe es um Menschen, dann um Kulturgüter und ein anderes Mal um Waffen und Drogen. Die Kehrseite der Medaille ist, er sei permanent on the Job, könne den Kopf kaum abschalten, und die Schichtarbeit ermüde einen.Einsätze an der EU-Aussengrenze«In stressigen Zeiten ist meine Frau mein ruhender Pol», sagt Dominik Glinski. «Ich kann ihr alles erzählen und weiss, jemand hört mir zu.» Sonst findet er beim Malen (Öl auf Leinwand), beim Lesen (Joseph Roths Radetzkymarsch) oder beim Joggen zwischen Eselschwanz und Bruggerhorn Erholung.Dass der Zoll durch und durch sein Leben ist, zeigt die Tatsache, dass sich Dominik Glinski seit 2013 bei Frontex engagiert. Dafür war er schon in Kroatien, Ungarn, Albanien, Griechenland und Bulgarien stationiert. Er führte Passkontrollen durch, bekämpfte die irreguläre Migration und patrouillierte mit lokalen Einsatzkräften der EU-Aussengrenze entlang. Im Sommer 2016, ein knappes Jahr nach den Bataclan-Anschlägen in Paris, unterstützte er bewaffnet und mit Schussweste ausgerüstet die französischen Kollegen auf dem Flughafen Paris-Charles-de-Gaulle bei der Kontrolle von Personen. An diesen Einsätzen schätzt er nicht nur den Austausch mit Kollegen aus anderen Ländern, sondern auch den engen Kontakt mit diesen. «Sie erzählen von ihren Ängsten, Sorgen und Freuden», sagt der Zollfachmann, «dadurch lerne ich Land und Leute besser kennen.» Ausserdem komme er an Orte, die Privatpersonen wohl kaum jemals zu Gesicht bekommen. «Unschön ist, dass in den Medien von Push-back-Aktionen zu lesen ist», sagt der St. Margrether. Sollten diese tatsächlich stattfinden, müsse es Konsequenzen für die Verantwortlichen nach sich ziehen. Aber das Positive überwiege die negativen Schlagzeilen.In Kroatien lernte er einen Grenzpolizisten kennen, der dort stationiert sei, wo dessen Vater im Balkankrieg gekämpft hatte. «Wie klein und ähnlich die Welt doch sein kann», sagt Dominik Glinski, «ich arbeite an der Grenze, an der mein Vater in den 80er-Jahren aus Polen eingereist ist und Asyl beantragt hatte.»Eidgenössische Zollverwaltung im Wandel Aktuell befindet sich die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) in einer Transformationsphase hin zum Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG).  Dadurch entsteht ein neues Berufsbild «Fachspezialist/-in Zoll und Grenzsicherheit», das umfassende Kontrollen von Waren, Personen und Transportmitteln aus einer Hand ermöglicht. Gleichzeitig werden die Organisationsstrukturen angepasst und der Zoll wird konsequent ins digitale Zeitalter überführt.  Damit sollen wiederkehrende administrative Arbeiten reduziert und die Risikoanalyse optimiert werden, sodass die EZV ihre Aufgaben noch effizienter wahrnehmen und rasch auf veränderte Lagebedingungen eingehen kann. 

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