01.10.2020

Hommage an die Urgrossmutter

In ihrem neuen Stück folgt Erzählerin Claudia Rohrhirs den Spuren ihrer Familie. Gleichzeitig ist es ein Abschluss.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Sie stützt einen Korb dreckige Wäsche in die Hüfte und bittet zum Brunnen in den Garten. Die Sonne scheint, es ist Waschtag. Claudia Rohrhirs schlüpft in die Rolle der Augusta, einer heiteren Waschfrau anno 1930, bindet sich Schürze und Kopftuch um und liefert eine Kostprobe des Stücks «ötschwär ötschis», das am Donnerstag, 22. Oktober, Premiere feiert. Die Tage waren zu kurzIn diesem Stück ist enthalten, was die 52-Jährige am liebsten macht: schauspielern, musizieren und lokale Sagen erzählen. Dennoch ist das Programm ein Abschluss. Claudia Rohrhirs reduziert ihre Bühnenpräsenz. «Ich war oft unterwegs und bin an verschiedenen Anlässen aufgetreten», sagt sie. Meist führte sie einmalige Erzählprogramme auf. «Heute dies, übermorgen das.» Sie sei gesättigt und möchte sich von spontanen Anfragen lösen. Sie beschloss, ein Programm zu entwerfen, das künftig als Bühnenstück gebucht werden kann, ihr aber auch Platz lässt, sich anderen Berufungen zu widmen. Das Kindertheater im «Diogenes» in Altstätten betreut sie weiterhin. Zudem hat sie sich im Bewerbungscoaching weitergebildet und berät Stellensuchende. Es sei ein Perspektivenwechsel, bei dem sie ihre Kreativität und ihr Interesse an (Lebens-)Geschichten einbringen könne. Dieses berufliche Standbein gibt ihr Sicherheit als Teilselbstständige. Claudia Rohrhirs ist an einem Punkt im Leben, wo sie sagt: «Ich fühle mich wie eine reife Frucht.» Sie habe vieles ausprobiert, «manche haben mich vielleicht belächelt», meint sie und lacht, aber immer mit dem Gedanken, das Beste aus einer Situation zu machen. «Darum bin ich, wer ich bin.» Das neue Stück gibt Einblicke in das Leben von Claudia Rohrhirs’ Urgrossmutter mütterlicherseits. Sie kam 1874 zur Welt, wuchs im Werdenbergischen auf, verliebte sich unglücklich in einen reformierten Mann und heiratete wegen der Konfession dann doch einen Katholiken. Das Paar zog in den Thurgau und lebte ein einfaches Arbeiterleben. Der rote Faden der FamiliengeschichteAufbrechen und ankommen, diese Stichworte ziehen sich wie ein roter Faden durch die Familiengeschichte. Auch Claudia Rohrhirs’ Eltern liessen die Orte ihrer Kindheit hinter sich. Sie selber kam als junge Frau 1994 von Embrach, wo sie aufwuchs,  übers Appenzellerland, wo sie einige Jahre wohnte, ins Rheintal. Hier fühlt sie sich längst wohl. Claudia Rohrhirs lebt mit ihrem Mann, Hündin Juna und Katze Lilli in Marbach, hat drei erwachsene Söhne und ist Grossmutter eines vierjährigen Enkels. Trotzdem bleibe sie hier immer etwas fremd. Sie sei keine «Hiesegi», was bereits ihr Dialekt mit Zürcher Brocken verrät. «Doch als ich mich mit der Herkunft meiner Urgrossmutter beschäftigte, vermittelte mir dies Bodenhaftung – ein schönes Gefühl.» Beim Erzählen von Sagen kann Claudia Rohrhirs die Welt anders darstellen, als sie ist. Einen Kontrast schaffen zu einer Welt, dominiert von wissenschaftlichen Fakten. «Es ist entspannend, in eine mystische Ebene einzutauchen.» Geschichten mit einem Weisheitskern geben ihr Orientierung. Auch Respekt und Dankbarkeit der Natur gegenüber sind in den Sagen spürbar. Die Erzählerin wandert in ihrer Freizeit gern im Alpstein. «Berge geben mir Ruhe. Aber ich muss nicht auf jeden hinauf.» Das Stück «ötschwär ötschis» entstand während eines dreijährigen Prozesses, im Austausch mit Regisseuren und Theaterpädagogen. Claudia Rohrhirs steht als Ein-Frau-Theater auf der Bühne und begleitet sich mit der Handorgel, dem Hans-Örgeli, wie sie sagt. Ein romantischer Hauch umweht das Instrument. Es wird erzählt, es sei ein Abschiedsgeschenk des reformierten Hans an die Urgrossmutter gewesen.Hinweis: «ötschwär ötschis», Premiere am 22. Oktober, 20.15 Uhr, Bühne Marbach.

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