Es gibt eine Unmenge Sprüche zum Thema Heimat. Viele sind eine Huldigung an den Ort, an dem man geboren ist oder wo man lebt; oft patriotisch angehaucht. Manche aber besagen, Heimat sei kein Ort, sondern ein Gefühl. So einer ist mir 2011 in New York begegnet: «Feeling at home has little to do with your location.» Es war eine Schnapswerbung, aber «sich zu Hause zu fühlen, hat wenig mit deinem Standort zu tun» gefiel mir. Denn während mir patriotisch-verklärte Gefühle fremd sind, fällt es mir leicht, mich irgendwo daheim zu fühlen.Bern ist ein Ort, an dem ich mich so fühle. Neun Jahre verbrachte ich hier; zuerst das Studium, dann zwei Arbeitsstellen. Ab dem ersten Tag war es ein gutes Gefühl. Eines, das bis heute anhält. Und als mein Bruder im März erzählte, er verschiebe das Homeoffice für eine Woche in eine Walliser Berghütte, entschied ich, von Bern aus zu arbeiten. Im Team hatten wir schon darüber gesprochen, also gab es von Geschäftsseite keine Hindernisse. Ich buchte eine Airbnb-Wohnung im Marzili unterhalb des Bundeshauses, reiste an einem Aprilsonntag an und bezog mein Quartier.Ein Schub, den der Bund schon lang beworben hatNeun Jahre zurück, Bern-Sulgenau, mein Büro im Eidgenössischen Personalamt. Wir diskutieren im Team, welche Eigenschaften der Bundesverwaltung für anzuwerbende Studienabgänger besonders attraktiv sein könnten. Der Bund ist ein träger Apparat, dennoch bietet er attraktive Jobs – und er punktet gemäss Umfragen stets mit flexiblen Arbeitszeitmodellen.2021 bin ich einer der Letzten, der Corona Positives abgewinnen kann. Aber: Die Krise bewirkte einen Schub, den der Bund schon früh beworben hatte. Er bewarb sich als Arbeitgeber mit Homeoffice, Jobsharing und mehr Chancen, Beruf und Familie oder Hobby unter einen Hut zu bringen. Der Privatwirtschaft war dies lange fremd. Wohl gibt es Ausnahmen, aber besonders auf dem Land ist der klassische 100-Prozent-Job mit Präsenz im Büro die Regel.Corona brachte dies aus den Fugen – wahrscheinlich nachhaltig. Und das ist gut so. Arbeiten können sehr viele auch von zu Hause aus. Und man kann sich auch woanders als zu Hause daheim fühlen.Auch ausserhalb des Büros ist Arbeit ArbeitKlar, als Journalist ist das recht einfach dahergesagt. Ein Dachdecker kann nicht einfach ein x-beliebiges Dach in Bern decken, ein Bierbrauer seine Arbeit nicht spontan in Bern statt in Rebstein verrichten. Auch sind sie mehr an fixe Zeiten gebunden als ich, der in diesem Job ohnehin unregelmässige Arbeitszeiten hat.Aber das Pensum ist ähnlich – und Arbeit bleibt Arbeit, auch wenn man sie nicht im Büro erledigt. Das zeigt der Montag in Bern. Durch die Fensterfront der Unterkunft scheint die Sonne, ich würde lieber raus, aber ich bin ja hier nicht in den Ferien. Ich setze mich ans Tischchen, klappe den Laptop auf und nehme an der Videositzung teil. Es funktioniert alles einwandfrei, ebenso später beim Produzieren der Zeitung. Es ist etwas mühsamer, die Zeitungsseiten am kleinen Laptopbildschirm zu gestalten statt auf zwei Monitoren im Büro. Das Arbeitsumfeld wiegt das aber auf. Und an die Kommunikation über «Teams» haben sich eh alle gewöhnt. So gibt es im Ablauf der Arbeitstage im Vergleich zum Homeoffice gar keine, im Vergleich zum Büroalltag nur kleine Abweichungen. Das Zwischenmenschliche aus dem Büro fehlt, die Arbeit ist aber die gleiche.Das grösste Plus liegt im TapetenwechselWer die Zeitung produziert, füllt Texte und Bilder ins Layout ab, gestaltet die Seite, bis sie druckreif ist. Dies kann erst am Nachmittag stattfinden, dauert dafür auch oft lange. In Bern bedeutet das für mich, den Morgen anders nutzen zu können. Ein Spaziergang durch die Altstadt oder der Aare entlang bis zum Rosengarten bringt andere Gedanken, als ich sie zu Hause wälze.Mich verbindet mit dieser Stadt nicht nur eine Zeit, in der ich sie bewohnt habe. Ich habe auch viele Freunde hier. Manche habe ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen – und doch ist es so, als hätten wir uns gestern an der Tramhaltestelle das letzte Mal verabschiedet, als wir am Donnerstag durch die Gassen der Altstadt schlendern. Bern ist eine wundervolle Stadt voller bereichernder Menschen und Orte. Die Bundesstadt zeigt bei Nacht ihre gemütliche, auch melancholische Seite. Sie lebt, auch in der Coronazeit. Sind die Bars geschlossen, braucht es keine besondere Fantasie, um Getränke zu kaufen, sich auf eine Bank zu setzen und über Gott und die Welt zu sprechen.Es ist nicht der Arbeitsablauf, der mich zu einem Fan des Fern-Homeoffices macht. Wichtiger ist der Tapetenwechsel; die anderen Orte, die anderen Menschen. Besonders in der Phase, in der ich viel zu viel Zeit da-heim verbrachte, belebte das den Arbeitsalltag ungemein.Remo Zollinger