03.12.2019

«Hol ir Metzg dreij Vialig Khackats»

Der Sprachwandel macht sich auch beim Einkaufen bemerkbar. Hier aufgezeigt an der Oberrieter Mundart.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
Heute verschwinden viele Dorfläden. Brot, Fleisch, Gemüse und die Dinge des täglichen Bedarfs werden immer häufiger beim sogenannten Grossverteiler eingekauft. Schon als ich jung war, verschwanden Läden und Handwerksbetriebe, so etwa da Schuamachar, da Buachbeandar, d Huadmachara, da Wagner, da Küafar, da Sattlar, da Schtohouar, da Schlossar, da Schmead oder da Schniidar. Früher ging man noch in die Metzg und verlangte dreij Vialig Khackats (dreiviertel Pfund Hackfleisch).Der Wandel im KleinenIm Laden bestellt man heute keine Bummaranza (Orangen) mehr. Der aktuelle Sprachwandel, den ich beobachte, vollzieht sich im Kleinen. Ein paar Beispiele: Man sagte früher nicht Welo, sondern Felo. Dieser Wandel vom gesprochenen F zum W findet heute bei jungen Menschen statt. Sie sagen häufig Waduz oder Dawos.Überhaupt ist der Sprachwandel bei Ortsbezeichnungen gut zu erkennen. Im Zug heissen die Stationen nicht mehr Rhein-eck, mit Betonung auf dem ei, sondern Rheineck mit Betonung auf dem eck. Ebenso falsch lautet die Ankündigung auf der S-Bahnlinie von Altstätten nach Neu St. Johann. Seit Jahrhunderten sagen wir und sagen alle Toggenburger Neu St. Johann mit Betonung auf dem Neu. Im Zugslautsprecher und in Radiostationen ist die Betonung oft auf dem Jo. Deutsche, die über die Metropole des Rheintals reden, sagen nicht Altstätten mit Betonung auf dem ersten A, sondern Altstätten mit Betonung auf dem Ä. Junge Leute sagen oft nicht mehr an Abtoalig mit Betonung auf dem ersten A, sondern an Abtoalig mit Betonung auf dem oa. Das ist der Wandel der Mundart, der bei Dutzenden von Wörtern täglich beobachtet werden kann.Spracherwerb aus dem TVViele dieser neu betonten oder neu eingeführten Wörter stammen aus der hochdeutschen Sprache, die wir in den elektronischen Medien hören. Es kommt hinzu, dass man zu Hause weniger redet miteinander. Man hockt nicht mehr zusammen zum Essen, geschweige denn am Abend in der Stube oder varussa uf am Beenkli, mit da Noochpuura zemma und rätschat mitanand.Wenn ich früher im Haus oder im Garten Hilfe brauchte, fragte ich einen Nachbarn, der etwas davon verstand. Heute gehe ich ins Internet, schaue mir ein Tutorial-Filmli an, in dem mir alles erklärt und sogar vorgezeigt wird. Meistens sind diese Filmli auf Hochdeutsch. Wenn ich die einschlägigen Wörter noch nie zuvor in einheimischer Mundart gehört hätte, würde ich hernach wirklich von einem Klempner reden, von Fliesen, von Spülmaschine, vom Saubermachen, vom Fussboden, vom Spültrog, von Buntstiften oder von Pantoffeln. Diese Wörter heissen auf Oberiednerisch: da Sanitäär, Blättali, Abwäschmaschina, Butza, Boda, Schüttstoa, Brünnali, a Faarb oder an Faarbstift, Finka.A Tüüta gäri nüüdKürzlich fragte mich die Verkäuferin in einem Laden, in dem ich eine rechte Menge eingekauft hatte: «Gärn an Karton?» Ich stockte ein paar Sekunden, bis ich wusste, was sie meinte. Sie meinte mit Karton eine Kartonschachtel, mit welcher ich die Produkte transportieren könnte. Unter Karton verstehen wir einen blanken Karton, um etwas darauf zu schreiben oder um den Inhalt eines Couverts zu verstärken. Ein Behälter aus Karton heisst bei uns Schachtel.Ein andermal wurde ich im Laden gefragt: «Gärn a Tüüte?» Das Wort tüüte gibt oder gab es in unserer Mundart einzig und allein in der Bedeutung von hupen, mit de Tüüti vom Auto. Das tüüte im Sinne von hupen ist praktisch ausgestorben. Vor rund 40 Jahren gab es das Hupen in der Oberiedner Mundart nicht. So schnell ändert sich die Sprache.Duzis oder Siezis?«Gärn a Tüte?» ist eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung, ohne Anrede und ohne Verb beziehungsweise Tätigkeitswort. Ein grammatikalisch unvollständiger Satz, denn in der Schule haben wir gelernt, dass jeder deutsche Satz ein Verb verlange. Richtig müsste die Frage lauten: «Hettet Sie gärn a Tüüte?» (Besser wäre: «Hettet Sie gärn an Sack?»)Oft lässt man in der Mundart das Personalpronomen einfach weg. In der Beiz fragt die Bedienung nach dem Essen: «No an Kafi?» An der Migroskasse lautet der kryptische Satz so: «Cumulus?» Oft ist das Personal unsicher, ob es dem Kunden Sie oder Du sagen soll. Das Du verbreitet sich dermassen schnell, dass man heute jederzeit und fast in jeder Situation damit rechnen muss, mit Du angesprochen zu werden.Diese tiefe persönliche Beziehung mit dem freundschaftlichen Du erlebe ich immer dann, wenn ich im Internet eine Gebrauchsanweisung hole. Dann heisst es: «Fahre mit dem Cursor …, kopiere … oder lösche …» Ich bin richtig stolz, dass ich mit Herrn Google und mit Frau Firefox Duzis bin.Früher war das anders. Bei Hedwig Loher, meiner Erstklasslehrerin, habe ich gelernt, dass man allen grossen Leuten Sie sagen müsse. Es gebe eine einzige Ausnahme, sagte sie uns. Das sei Gott. Ihm dürfe man beim Beten Du sagen. Zu Google & Co bete ich zwar nicht, aber sie gebärden sich oft Gott ähnlich.

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