11.04.2019

Hohe Belastung im Naturschutzgebiet

Im Bannriet wurden hohe Ammoniakemissionen gemessen, die Mensch und Umwelt belasten. Nun sind Minderungsmassnahmen in der Landwirtschaft gefordert: Über 90 Prozent der Emissionen stammen von ihr.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Benjamin SchmidDie beiden Gebiete Bannriet und Spitzmäder sind ehemalige Torfstichflächen, die heute unter Naturschutz stehen. Von Landwirtschaftszonen umsäumt, sind sie kleine Oasen der Biodiversität. Doch die Artenvielfalt wird durch hohe Ammoniakkonzentrationen in der Luft bedroht.Das zeigen Untersuchungen des Amts für Umwelt, das über ein Jahr Messungen an verschiedenen Standorten durchgeführt hat. Seit 2001 überwachen die Ostschweizer Kantone und das Fürstentum Liechtenstein die Luftqualität im Verbund Ostluft. Im Altstätter Bannriet wurden letztes Jahr erstmals Luftmessungen zur Ammoniakbelastung durchgeführt. Dazu kamen Passivsammler zum Einsatz, die die Belastung im Rhythmus von vier Wochen dokumentierten.Die Resultate zeigen: Das Bannriet gehört zu den fünf Prozent der Messstandorte, bei denen die stärkste Ammoniakbelastung festgestellt wurde. «Durchschnittlich überschreiten die Werte das empfohlene Limit um das Fünf- bis Sechsfache, zu Spitzenzeiten um das Neunfache», sagt Susanne Schlatter, stellvertretende Leiterin der Sektion Luftqualität beim Amt für Umwelt. «Das sind massive Überschreitungen des empfohlenen Werts.»Gravierende Folgen für die UmweltAmmoniak trägt wesentlich zum übermässigen Stickstoffeintrag in Ökosysteme bei, mit vielfältigen negativen Auswirkungen. «Hohe Ammoniakeinträge sind eine grosse Belastung für unsere Ökosystem und einer der wichtigsten Ursachen für den Rückgang der Biodiversität», sagt Simon Zeller, Abteilungsleiter Natur und Landschaft vom kantonalen Amt für Natur, Jagd und Fischerei. «Die zusätzliche Düngung aus der Luft führt zu einem starken Wachstum der Gräser. Dadurch werden Blumen verdrängt und viele Insekten finden keine Nahrung mehr.»Neben der Überdüngung trage Ammoniak auch zur Versauerung von Böden und wesentlich zum Feinstaubproblem bei. Gerade in sensiblen Gebieten wie dem Bannriet gehen die Auswirkungen mit dem Rückgang der Artenvielfalt einher.Wie die meisten Naturschutzgebiete ist auch das Bannriet auf möglichst nährstoffarme Bedingungen angewiesen, sagt Urs Weber von Pro Riet Rheintal: «Es wäre fürs Bannriet und andere Gebiete wünschenswert, wenn die Messwerte gesenkt werden könnten.»Tierwohl oder LuftreinhaltungDie Ursache für die hohen Werte scheint auf den ersten Blick eindeutig: Ammoniak entsteht aus Dünger und Gülle. Sobald Gülle mit der Luft in Berührung kommt – sei es im Stall, bei der Lagerung oder bei der Ausbringung –, wird Ammoniak freigesetzt. «Je länger Gülle oder Mist der Luft ausgesetzt ist und je höher die Temperatur und die Windgeschwindigkeit sind, desto grösser sind die Ammoniakemissionen», sagt Richard Ballaman, Sektionschef Luftqualität beim eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.Das Thema wird in der Landwirtschaft seit geraumer Zeit bearbeitet, weiss Bruno Inauen, Leiter Landwirtschaftsamt St. Gallen. «Landwirte erhalten vom Bund bis Ende 2019 Unterstützung, wenn sie Gülle mittels Schleppschlauch ausbringen, ebenso, wenn sie auf eine stickstoffreduzierte Phasenfütterung bei Schweinen umsteigen.»Ballaman ist überzeugt, dass durch konsequentes Umsetzen der Massnahmen nach dem heutigen Stand der Technik Reduktionen von 30 bis 40 % erreicht werden könnten. Eine mögliche Erklärung, wieso die Ammoniakkonzentrationen dennoch nicht abnehmen, liefert Bruno Inauen: «Es besteht ein Zielkonflikt zwischen dem Tierwohl und der Luftreinhaltung. Grosse Laufflächen und offene Ställe führen zu mehr Ammoniakverlust.»Für Peter Nüesch, Präsident des St. Galler Bauernverbandes, gibt es einen weiteren Zielkonflikt. «Es wäre zu einfach, die Tierbestände zu reduzieren, um das Problem in den Griff zu kriegen. Dann würden die Bestände einfach im Ausland aufgebaut und die Stickstoffverluste fallen dort an. Das Problem würde nur exportiert.» Nüesch wünscht sich, dass neue Regelungen umfassender auf ihre Ziele geprüft werden müssen, bevor sie in Kraft gesetzt werden.Politiker sind sich mehrheitlich einigFür den Altstätter Kantonsrat Meinrad Gschwend sind so hohe Ammoniakwerte alarmierend. «Man weiss, woher sie kommen und welche fatalen Folgen sie langfristig für Mensch und Natur haben. Wenn der kantonalen Politik die Biodiversität ernst ist, sind hier dringend Massnahmen gefordert. Die einfachste Lösung heisst: weniger Bschötti.»Zwischen intensiver Landwirtschaft und einem sorgfältigen, verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt bestehe ein grosses Spannungsfeld, das Politik und Verwaltung auf allen Stufen fordere. «Es braucht klare Regeln für den Umgang und das Ausbringen von Gülle – und die strikte Einhaltung dieser Regeln muss konsequent durchgesetzt werden», sagt Kantonsrätin Laura Bucher. «Es kann nicht sein, dass die Landwirtschaft auf Kosten der Natur, der Artenvielfalt und der Biodiversität produziert.»Auch Kantonsrat Sandro Hess sieht Handlungsbedarf. «Es geht darum, verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen. Es gilt, die Biodiversität im Rheintal zu schützen und gleichzeitig eine funktionierende Landwirtschaft zu ermöglichen.» Wünschenswert und im Interesse aller Beteiligten wäre für ihn eine sukzessive Reduktion in naher Zukunft.Für die FDP Rheintal ist klar: «Nachhaltigkeit schützt Mensch und Umwelt», sagt Präsident Gabriel Macedo, «diese zu hohen Ammoniakmesswerte sind für uns sehr bedenklich. Sie müssen durch sinnvolle, breit abgestützte Massnahmen aller Akteure zeitgerecht auf ein umweltverträgliches Mass gesenkt werden.» Die verstärkte Sensibilisierung bei Umweltfragen in der Bevölkerung zeige, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Fragen der Biodiversität, der Artenförderung sowie grundsätzlich dem Umweltschutz nötig ist und das hierbei potenzielle Massnahmen getroffen werden müssen, die die Ökologie stärker gewichten als ökonomische oder agrarpolitische Interessen.Nationalrat Mike Egger sieht die hohen Messwerte als Problem und verortet die Hauptgründe dafür bei der Gülle. Aber: «Die Landwirtschaft beeinflusst mit einem Drittel der Flächennutzung die Arten- und Lebensraumvielfalt in der Schweiz stark und leistet einen wichtigen Beitrag für unsere Natur.» Für ihn sei klar, dass die Bauern mit ihrer täglichen Arbeit aktiven Umweltschutz betreiben. Für die sogenannte Schleppschlauch-Düngung gebe es vom Bund Subventionen, und der Ammoniakgehalt in der Luft könne effizient reduziert werden.Auch wenn die Messungen im Bannriet nicht über mehrere Jahre hinweg erfolgten, so zeigen sie eindrücklich den Einfluss der Landwirtschaft auf die Umwelt. Die Politik sieht sich gefordert und ihre Vertreter – ob aus dem linken oder dem rechten Lager – sehen Handlungsbedarf. Kritisches Level für AmmoniakWeil in der Luftreinhalteverordnung der Schweiz keine Grenzwerte für Ammoniak festgelegt sind, werden für die Beurteilung der Emissionen die kritischen Konzentrationswerte der United Nations Economic Commission for Europe herangezogen.Dieser kritische Level wurde im Bannriet im Jahr 2018 teils drastisch überschritten. Gemäss Daten vom Bundesamt für Umwelt stammen rund 95 Prozent der gesamtschweizerischen Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft. Zur Einhaltung der kritischen Grenzwerte ist eine Reduktion des Ammoniakausstosses um zirka 40 Prozent gegenüber dem Ausstoss von 2005 nötig.Die jährlichen Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft sind aufgrund rückläufiger Tierbestände von 63 000 (1990) auf 52 000 Tonnen (2000) gesunken. Seither sind die Emissionen hoch geblieben. (bes)

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