Auf die Frage, was ihr am Klettern gefalle, antwortet Sarina Wyss ganz einfach mit: «Alles.» Das ist auch zu spüren, sie scheint sich bereits auf das nächste Training zu freuen. Dieses Montagabendtraining ist nur das erste Training, das Sarina diese Woche in St. Gallen bestreiten wird. Mutter Andrea Wyss fügt grinsend an:
Wir wohnen gefühlt schon fast hier
Zusätzlich trainiert Sarina Wyss ein- bis zweimal mit den Eltern und einmal in der Sportschule Appenzellerland. Letztere wird eigentlich erst ab der Oberstufe besucht. Für die Fünftklässlerin wurde eine Ausnahme gemacht, sie darf dort ihr Athletiktraining absolvieren. «Sie hat eine unglaubliche Disziplin. Manchmal würde ich mir gerne eine Scheibe davon abschneiden.» In den Disziplinen Bouldern und Speed konnte sich Sarina Wyss im April und September zur Schweizer U12-Vizemeisterin küren lassen. Im Oktober kam ein weiterer zweiter Platz in der Disziplin Lead dazu.
Die Freude am Klettern bekam Sarina in die Wiege gelegt. Vater Dani Wyss ist Bergführer und Schneesportlehrer, Mutter Andrea arbeitet seit zwölf Jahren in einer Bergführerschule. Die Leidenschaft für das Klettern habe Sarina von ihren Eltern bekommen, Wettkampfklettern entdeckte sie aber für sich selbst. Andrea Wyss sagt:
Mein Mann und ich haben uns auf dem Berg kennengelernt, unser ganzes Leben dreht sich um die Berge
«Falls ich einmal keine Lust mehr aufs Sportklettern habe, will ich auch Bergsteigen. Oder eigentlich sowieso», sagt Sarina. Ein plötzlicher Verlust der Leidenschaft scheint aber nicht in Sicht. Sie trainiert sie in einer Gruppe, bei der die jüngsten Kletterer zwei Jahre älter sind. Sarina wirkt reif für ihr Alter. In der Gruppe werde sie sehr gut aufgenommen. «Sie sind nicht eingebildet, weil sie älter sind.»
Training mit Älteren auch eine Chance
Von dem Training mit den älteren Trainingskollegen kann Sarina profitieren. «Es gibt Routen, die für Sarina aufgrund der Grösse schwerer sind. Gleichzeitig gelingt es dem Trainer oft, Routen zu bauen, die sowohl sie als auch die Grossen fordern», sagt Mutter Andrea Wyss.
Trainer Jürgen Höfle erzählt vom altersgerechten Training, auf das er bei Sarina Wert legt. Bei der jährlichen Vergabe der Talent Cards im Sportklettern durch Swiss Olympic werden auch Ultraschallaufnahmen der Hände der Athleten gemacht, um zu prüfen, ob die Wachstumsfugen in den Fingerknochen geschlossen sind. Solange diese Fugen offen sind, sollte laut Höfle keine maximale Belastung erfolgen. Bei Mädchen schliessen sie sich mit vierzehn bis sechzehn Jahren, bei Buben etwa ein Jahr später.
Lässig springt Sarina von der modernen Boulderwand, die sie in der Kletterhalle St. Gallen zur Verfügung haben. Sie bereitet sich mit einer Kollegin auf das nahende Training vor. Das Eintreffen ihrer weiteren Kletterkollegen lässt Sarina nun auf das kommende Training fokussieren. Wer weiss, vielleicht wird ihr dieser Fokus nächstes Jahr helfen, das «Vize» aus ihren Titeln an den Schweizer Meisterschaften streichen zu können.