07.04.2020

Herzlich distanziert und dankbar

Paul-Josef Hangartner ist tot. Die Möblierung der geistigen Welt war ihm wichtiger als Materielles.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Als Paul-Josef Hangartner sich mit mir am 31. Mai des letzten Jahres (für ein Porträt) zwei Stunden unterhielt, war ein schöner Tag. Obschon schwer krank, begegnete er mir mit einer ungeahnten Heiterkeit.Über seine Krankheit, das grosse klumpige Ding, das unbemerkt in seinem Unterleib herangewachsen war, äusserte er sich nur kurz und sachbezogen, als lohnte es sich nicht, an Unabänderliches viele Worte zu verschwenden.Genauso sachbezogen hatte ich ihn in seiner Zeit als Chefarzt und Spitalleiter im Altstätter Spital kennengelernt. War man auf seine Hilfe als Arzt angewiesen, fühlte man sich bei ihm bestens aufgehoben. Den angenehmen Klang seiner Stimme verstand man unweigerlich als Hinweis auf die Einfühlsamkeit eines kompetenten Mediziners, der eine besondere Ruhe ausstrahlte und sich in einer Weise ausdrückte, die man verstand.Nicht nur als Arzt viel für andere getanDie Ruhe, die ihm innewohnte, kam Paul-Josef Hangartner auch ausserhalb des Spitals bei seinem vielfältigen Wirken zugute. Es waren Tätigkeiten zugunsten der Allgemeinheit, sei es im Vorstand der CVP-Ortspartei, als Präsident der Schweizerischen Chefärztekommission oder als Präsident des Altstätter Museumsvereins, um nur drei Beispiele von vielen zu nennen. Als Freund der guten Argumente und darauf erpicht, sinnvolle Neuerungen mit Überzeugungskraft herbeizuführen, verfolgte er beharrlich seine Ziele.Der am Vierwaldstättersee aufgewachsene Mediziner mit Bürgerort Altstätten hat Zeit seines Lebens ein besonderes Pflichtgefühl mit Dankbarkeit verknüpft – Dankbarkeit für das Leben an sich, für die Blumen im Garten, für all das Schöne, das früher auch in seiner Leidenschaft fürs Klavierspielen zum Ausdruck kam oder in seinem Bestreben, mit überdurchschnittlichem Einsatz der «Stadt etwas zurückzugeben». Umso grösser war seine Freude über den Meinungsumschwung im Stadtrat, dessen Begeisterung für das Museumsprojekt erst heranzureifen hatte.Auch nach seiner Pensionierung war Paul-Josef Hangartner schwer erreichbar. Hier und dort half er aus, er operierte an Spitälern und brachte das grosse Altstätter Museumsprojekt still und bescheiden zur Abstimmungsreife. Einsatzfreudig und zielstrebig trieb er das Museumsprojekt voran. Nach Hangartners krankheitshalber erzwungenem Rücktritt als Museumspräsident Ende 2018 war die Übernahme der Aufgaben für die Kollegenschaft mit einer entsprechenden Einarbeitung verbunden.Umgeben von spürbarer WärmeBei Begegnungen mit flüchtig Bekannten (wie mir) war Paul- Josef Hangartner herzlich distanziert, umgeben allerdings von einer starken Aura, von spürbarer Wärme, die auf ein philanthropisches Wesen schliessen liess. Ihn nicht zu mögen, schien ausgeschlossen.Er war eine vornehme Persönlichkeit, nicht nur freundlich, sondern zuvorkommend auf vielfältige Weise. Nie sprach er ungünstig von anderen Menschen – und die Vorstellung, er könnte jemals anderen Menschen zu nahegetreten sein, kommt einem abwegig vor.So sehr ihn schöne Stücke freuen konnten, die Möblierung der geistigen Welt war ihm wichtiger, und seine Spiritualität (nicht zu verwechseln mit einer besonderen Religiosität) dürfte ihm sogar eine gewisse Distanz zu sich selbst, zu seinem eigenen Ich, ermöglicht haben – und so auch ein wenig Abstand zu der Krankheit, die in seinem Innern wucherte. Paul-Josef Hangartner liebte das Reisen, Kultur und Kunst, im Speziellen auch die Werke des Altstätter Künstlers Josef Ebnöther.Glück als Folge von TugendhaftigkeitIn einem aktuellen Buch über «ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert» wird auf zeitgemässe Philosophen wie Michael Sandel und Alasdair McIntyre verwiesen. Deren Einschätzung nach ist die Entwicklung der Tugendhaftigkeit das, was einen Menschen letztlich dazu befähigt, ein glückliches Leben zu führen. Dass mir, als ich dies am Wochenende las, Paul-Josef Hangartner einfiel, überrascht mich nicht.Paul-Josef Hangartners Anspruch an sich selbst war hoch. Umso mehr konnte sich glücklich schätzen, wer ihn zum Freund haben durfte.

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