06.11.2020

Heilige Freiheit

Von Philipp Hautle
aktualisiert am 03.11.2022
Wie viel individuelle Freiheit darf und soll zum Wohl der Gemeinschaft eingeschränkt werden? Die Pressekonferenz vom 18. Oktober in Bern zeugt davon, wie differenziert Bundesrat und Kantone wegen der steigenden Zahl der Infizierten darum ringen. Viele sind von der Pandemie existenziell, gesundheitlich und finanziell betroffen. Tausende bangen um ihren Arbeitsplatz. Gesundheitszentren und Labors laufen auf Hochtouren. Für das Contact-Tracing sind Hundertschaften aufgeboten. Regierungen, Verwaltungen und Polizeikorps sind im Dauereinsatz. Ich bewundere sie, mit wie viel Ernst und Sorgfalt sie ihre Verantwortung wahrnehmen. Respekt und Dank! Auf dem Bundesplatz in Bern gab es gleichzeitig zur Pressekonferenz eine «Mahnwache». So nennen es die Gegner der Coronapandemie-Massnahmen. Ohne zu wissen, welche Massnahmen der Bundesrat eben vorstellt. Ohne Masken. Ohne Erlaubnis zu einer Demonstration. Heilige Meinungsfreiheit in unserem Land.In demokratischer Freiheit wurde vor Monaten Milliardenhilfe vom Staat gesprochen. Und schon verlangt man nach weiterer staatlicher Unterstützung. Ja, fast scheint es, der Staat sei für unser aller Wohlergehen voll verantwortlich. «Der Staat, Dein Heiland und Erlöser!» Die Erwartung, wenigstens so viel zu haben, zu erhalten, wie letztes Jahr. Produktion, Konsum, Wohlstand – alles wie bisher. Doch, wenn wir ehrlich sind, ahnen wir es. Ja wir wissen es: Die Aufwärtsspirale von Produktion, Konsum und Profit kann so nicht weitergehen. Daraufhin weisen nebst der Coronapandemie auch die wachsenden Schuldenberge, die prognostizierte Wirtschaftskrise und die Klimaerwärmung. Verzichten ist nötig. Und die steigende Arbeitslosigkeit verlangt wohl eine generelle Arbeitszeitverkürzung, einschliesslich Lohnkürzung. Sind künftig sogar Rentenkürzungen nicht unantastbar?Verzichten erst recht, wenn wir über unsere Landesgrenzen hinausschauen. In vielen Ländern ist die Not noch viel brutaler. Tödlicher. Kein tragendes Gesundheitswesen, keine Sozialversicherungen für Millionen. Die vielen internationalen Hilfswerke leisten Grossartiges, auch wenn es nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist. Ja, wir sind frei, selbstverliebt in unsere eigene heilige Freiheit, gegen die Massnahmen der Regierung zu protestieren. Wir sind frei, heute schon Verzicht zu üben. Wir sind frei, uns mit grossem Gottvertrauen für eine gerechtere Welt einzusetzen. Und wenn es uns nur um ein Haar gelingt. Besser als umgekehrt.Philipp HautleRebstein

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